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Chupp und Ewaldo im Frühling

Wie die beiden von der Bundesliga wenig ehrenvoll geschiedenen Fußballtrainer Josef „Eineken“ Heynckes und Ewald „Li Ennen“ Lienen auf den Kanarischen Inseln gemeinsam reüssieren  ■ Aus Teneriffa Bernd Müllender

Jupp Heynckes hat in Spanien einen guten Namen. Dafür sorgten zwei erfolgreiche Jahre bei Athletic Bilbao (1992 bis 1994). Im Februar, erzählt er, sei er „von La Coruña fast genötigt worden, dort Cheftrainer zu werden“, aber: „Das Abenteuer bei Eintracht Frankfurt“ war noch nicht beendet. Gleich nach dieser „Episode“ griff der kanarische Erstligist Club Deportivo Tenerife zu. „Eine gute Mannschaft, das wußte ich“, so Heynckes – aber meist nur unteres Mittelfeld. Schlagzeilen gab es bloß zweimal: 1993 und 1994 schlug Teneriffa jeweils am letzten Spieltag Real Madrid und vermasselte den Königlichen damit zweimal die Meisterschaft. Herzlich lachender Dritter: der FC Barcelona. Jetzt heißt die Zielsetzung: Mit Jupp in den UEFA-Cup.

Und mit Ewald Lienen. Als Heynckes „dem Freund und Kollegen“ den Co-Trainer-Posten anbot, erinnerte sich Lienen an „das intensive Vertrauensverhältnis“ aus acht Gladbacher Jahren (davon eines noch gemeinsam auf dem Rasen) und wußte: „Im Ausland zu arbeiten war schon als Spieler mein Traum.“ Dennoch ist es eine ungewöhnliche Liaison, wenn sich zwei Bundesligatrainer auf diese Weise zusammentun. Dazu noch derart grundverschiedene Menschen: Lienen (41), der Ehrgeizpusselige, sperrig, meinungsfreudig, politisch links; und Heynckes (50), der Routinier, ballsozialisiert noch unter Weisweiler, konservativ, in Spanien als distinguierter Grande mit Anzug und Schlips am Spielfeldrand. Zwei aber auch, die auf sehr spektakuläre und ähnliche Weise aus der Bundesliga demissionierten. War das etwa Flucht – ab in den ewigen Frühling? Der Rückzug zweier besonders Gedemütigter in Europas fernste Fußballecke? „Völliger Quatsch“, sagt Lienen spürbar empört. Und Heynckes: „Unsinn, ich bin nicht gescheitert in Frankfurt.“

Nicht leicht sei es gewesen, berichtet Heynckes, „unseren Charakter, unsere Philosophie hier einzubringen“. Die Spieler hätten „erst einmal lernen müssen, gewissenhaft und hart zu arbeiten bis in die kleinsten Details“. Jetzt aber läuft die Sache, und die beiden Teutonentrainer, auf Teneriffa etwa Chupp Eineken und Ewaldo Li Ennen ausgesprochen, heimsen Lob ohne Ende. „Wie eine Dampfwalze“, notierte die Tageszeitung El Pais, sei CD Teneriffa in Valencia über den renommierten Gegner hinweggerollt, „vorzüglich, beeindruckend“. Selbst der Radioreporter geriet beim markerschütternden „Gooool“-Schrei vor Begeisterung beängstigend ins Stottern. Und Heynckes zollte gar das Maximal-Lob: „Fußball wie zu besten Gladbacher Zeiten.“ Aber, so El Pais: „Teneriffa begnadigte den Gegner.“ Nach einem Eigentor endete das Match 2:2.

Ähnlich ergeht es dem CD Tenerife seit Wochen. Man begeistert mit Offensivfußball (Lienen: „Ganz Spanien lobt uns“), aber gewinnt nicht: gegen La Coruña ein Bebeto-Freistoß in letzter Minute – 1:1. Gegen Oviedo ein alberner Elfmeter in der Nachspielzeit – 3:3. In Sevilla, beim souveränen Kaiserslautern-Bezwinger Betis – auch nur unglücklich 3:3. Selbst den großen FC Barcelona spielten sie vor 14 Tagen zeitweise an die Wand, aber nur 1:1. Barça-Trainer Johan Cruyff war „verdammt erleichtert, weil Tenerife so verdammt viele Chancen hatte“. Teneriffas Bilanz nach bislang 13 Spielen: nur drei verloren, aber auch nur drei gewonnen – Platz 10.

Lienen, der Pazifist und ehemalige Landtagskandidat der „Friedensliste“, führt jetzt vereinsoffiziell einen militärischen Titel: „Ayudante técnico“. Als solcher ist er auch an spanischen Spielfeldrändern der notizenfreudigste Trainer seit Erfindung des Bleistifts. Was die Spanier dazu sagen? „Gar nichts. Das ist halt meine Arbeit. Das interessiert die gar nicht. Typisch deutsch, darüber reden zu wollen.“ Ja, die Presse: „Wohltuend“ sei es, wie „sachlich und professionell Journalisten hier arbeiten“. Keine „persönlichen Anwürfe“, und Spitznamen wie Osramo oder Don Ewaldo seien sogar „undenkbar“.

Lienens zweiter Titel ist der des „preparador fisico“. Doch die Körnermühle hat der Prediger der Vollwerternährung in Duisburg gelassen. „Cola ist scheiße“, das könne er „den Jungs“ noch so oft predigen: „Aber die haben halt ihre Gewohnheiten.“ Immerhin, Libero Llorente sei schon „voll auf Linie“. Allerdings gilt: „Wenn du Mängel im Stellungsspiel hast, dann wird das mit einem Körnerbrötchen auch nicht besser.“

Viel arbeiten, hart und intensiv arbeiten, vor allem gemeinsam arbeiten. Das Wort lieben beide über alles. Und Fußball auf Teneriffa hat schon aus geographischen Gründen rein gar nichts mit Paradies zu tun. Auswärtsspiele sind langwierige Exkursionen: Abreise Freitag früh, Rückkehr Montag nachmittag. Wenn es in die spanische Provinz geht, dauert eine Reise, mit Umsteigen, manchmal locker zehn Stunden. Nerviger Streß, das sagen beide, aber eine frühe Anreise ist unumgänglich, „um gute Arbeit abzuliefern“.

Manchmal weiß man gar nicht mehr, wer von beiden Jupp Lienen und wer Ewald Heynckes ist, so überschwenglich und im Pingpongstil kommt das Lob. „Ich mache“, sagt Lienen, „bei Jupp, dem Erfolgstrainer, meine Lehrjahre“, Heynckes nennt Lienen „einen großartigen Menschen“ und bekommt „auch als alter Fuchs“ vom jungen Kollegen „viele Denkanstöße und Inspirationen“. Ja, sagt Heynckes: „Wir sind nicht erster und zweiter Trainer, sondern ein Gespann. Wir sind ein Paar, das Fußball pur lebt.“

„Kein Thema“, sagt Heynckes, seien die aktuellen Gerüchte über Scholl und Kirsten, „alles Spekulationen, wir brauchen hinten Verstärkungen.“ Am besten ganz hinten: Torwart Marcelo Ojeda ist eine Mischung aus Olli Reck und Walter Junghans in ihren schlechtesten Tagen. Als Ojeda auf der Bank saß, klappte es im Pokal jetzt mal so richtig. Zweitligist Malaga wurde mit 8:0 abgefertigt. „Ein historischer Vereinsrekord“, jubelten die Gazetten, denn acht Treffer in einem Pflichtspiel hatte CD Tenerife als Erstligist noch nie geschafft. Und euphorisch ließ der sonst so kühle Heynckes die Fans wissen: „Das war Fußball, wie ich ihn liebe.“

Doch nicht nur der Erfolg zählt. Beide lernen. Jupp Heynckes etwa, „daß wir uns an die Mentalität annähern mußten, die Geräusche und Gewohnheiten tolerieren. Hier ist man ja fast in Afrika.“ Zudem gelte das Mañana-Prinzip, und der preußische Perfektionist merkte, „daß wir Deutschen oft viel zu deutsch sind“. Ewald Lienen ist vom kanarischen Enthusiasmus begeistert: „Hier wird Fußball von jung und alt gelebt, die ganze Woche. Sonntags kocht das Stadion, eine fantastische Atmosphäre, und morgens schüttelt dir ein altes Mütterchen die Hand und sagt Grácias.“ Der sportliche Aufschwung für eine kanarische Mannschaft ist mehr als Lokalkolorit, es ist ein trotziger Ruf nach Festlandspanien: Seht her, uns gibt es auch noch. Und wir sind besser. „Dieser unbändige Stolz“, so der Sportpolitiker Lienen, „ist wesentlich mehr als nur Fußball.“

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