: Kohl wird Lügen gestraft
■ Eine Prognos-Studie im Auftrag des Wirtschaftsministeriums belegt: Deutschland verfehlt ohne ein Umsteuern das Klimaziel radikal. Umweltministerium wiegelt ab
Berlin (taz) – Die Bundesregierung wird ihr Klimaziel massiv verfehlen. Das ist das Ergebnis einer Studie, die das Berner Prognos-Institut im Auftrag des Wirtschaftsministeriums verfaßt hat und über die gestern das Handelsblatt berichtete. Allenfalls 10,5 Prozent weniger CO2 als 1990 werden demnach im Jahr 2005 aus deutschen Schloten und Auspuffrohren kommen – Bundeskanzler Helmut Kohl hatte auf dem UNO-Klimagipfel in Berlin noch vollmundig versprochen, Deutschland werde die Kohlendioxid-Emissionen um 25 Prozent senken. Die Prognos- Studie bestätigt, was UmweltschützerInnen schon lange sagen: Ohne radikale Änderungen bleibt die Klimapolitik Kosmetik.
Die Schweizer Wissenschaftler legen ihrem Gutachten die Annahme zugrunde, daß Erdöl auf dem Weltmarkt in den nächsten 25 Jahren nicht überproportional teurer wird. Dafür sprechen sowohl die im Herbst in Japan präsentierten Zahlen über fossile Welt-Energievorräte als auch die Zerstrittenheit der Opec, die eine gemeinsame Hochpreispolitik nicht erwarten läßt. Die Prognos-Experten nehmen weiterhin an, daß der deutsche Bruttostromverbrauch um jährlich 0,7 Prozent wächst – bei einem Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 2,2 Prozent.
Auf der anderen Seite gehen die ZukunftsforscherInnen durchaus von massiven Einsparanstrengungen aus. Effizienzsteigerungen der Kraftwerke um 15 Prozent beeinflussen die CO2-Bilanz positiv. Auch die Autos werden viel effektiver: 35 Prozent weniger Sprit als 1992 wird der Durchschnittswagen in 25 Jahren fressen. Und der Endenergiebedarf für Heizungen wird sogar um 40 Prozent sinken – dank Wärmedämmung. Schließlich braucht auch die Industrie weniger Gas, Strom und Öl: Der Strukturwandel läßt den Energieeinsatz um 43 Prozent sinken. Folglich: Auf technischer Ebene gibt es enorme Einsparanstrengungen, die aber bei weitem nicht ausreichen.
Im Wirtschaftsministerium wollte man gestern das Ergebnis des 670-Seiten-Werks nicht kommentieren. „Die Experten prüfen noch“, versicherte die Sprecherin. Franz-August Emde, Pressesprecher im Umweltministerium, wies hingegen die ganze Studie als „schief“ zurück. Zwischen 1990 und 1994 seien die CO2-Emissionen um über 11 Prozent gesunken, argumentiert der Merkel-Sprecher. „Der Trend geht weiter“, glaubt er. Noch seien längst nicht alle 110 Maßnahmen zum Schutz des Klimas wirksam geworden, die das Kabinett beschlossen habe. Ein Umsteuern der Verkehrspolitik aber ist da nicht vorgesehen. Und auch die von den Prognos- Leuten angenommene Effizienzsteigerung beim Heizen ist mit den bisherigen Bonner Vorschlägen längst nicht zu schaffen. Annette Jensen
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