: Im umgedrehten Fernglas gesehen
■ Heute abend liest Robert Bober aus „Was gibt's Neues vom Krieg“ in Hamburg
Jemand sollte den Presseabteilungen einmal Bescheid sagen. Die Verweise darauf, dieses oder jenes Buch behandele auf diese oder jene Weise den Zweiten Weltkrieg, wirken nämlich längst kontraproduktiv. Noch ein Buch über den Krieg. Noch ein Buch über das Gedenken und Erinnern. Wer will das denn alles lesen!
Nun gibt es aber inmitten der 50 Jahre nach dem Kriegsende galoppierenden Gedenkliteratur einzelne Bücher, die man nicht den vorgeschobenen Betroffenheitsdiskursen überlassen sollte. Zu ihnen zählt Robert Bobers schöner Roman Was gibt's Neues vom Krieg. Der Franzose Bober hat viele Dokumentarfilme gedreht. Über 60jährig hat er das Schreiben angefangen und dokumentiert in dem Buch die Erinnerungen an seine Jugend nach Kriegsende in Paris.
Kein großangelegtes Gedenkpanorama. Das Buch steckt voller alltäglicher Episoden aus dem Leben der jüdischen Überlebenden, die Bober aus einer Vielzahl von Perspektiven erzählt. Manche Episoden wendet Bober so, daß in ihnen bei scheinbar größtmöglicher Banalität der Schrecken wie in einem umgedrehten Fernglas erscheint. Zum Beispiel die Geschichte mit George. George wird – wo doch sonst alle Kinder Marmelade mögen – immer schlecht, wenn er Erdbeermarmelade sieht. Als seine Eltern von der Gestapo abgeholt wurden, hat sein Vater George im Schrank versteckt. Als einzige Nahrung hatte er ein Glas – Erdbeermarmelade.
Da George nun niemanden mehr hat, dem er schreiben könnte, führt er während der obligatorischen Briefestunden im Sommerlager lange alphabetische Listen mit allen Filmtiteln, die ihm einfallen. Während einer dieser Stunden sagt er zu einem Freund, daß man immer alles erzählen und aufschreiben müsse, um sich später daran zu erinnern. Immer alles erzählen. Bei Bober läßt sich beides lesen: wie einfach und wie schwer das ist.
Dirk Knipphals
Talmud-Thora-Schule, Grindelhof, 19.30 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen