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Pralle Parade

■ Musikhochschule: Mauricio Kagels Romantik-Revue „Aus Deutschland“ vergnüglich inszeniert

Auf der Bühne steht ein monstöser Flügel, dahinter liegt ein nicht minder großes Konterfei des deutschen Dichterfürsten: Goethe, das Rumpelkammerrequisit. Eine morbide Schönheit, es könnte Morticia aus der Addam's Family sein, betritt die Szene und erzählt „Will dich im Traum nicht stören“. Nun beginnt Kagels Revue Aus Deutschland als vergnügliche Inspektion deutscher Romantik. Liebe und Tod kollidieren mit erstarrten Momenten Operntradition.

Kagels 1981 an der Deutschen Oper Berlin uraufgeführtes Lieder-Werk ist keine Antioper, keine Explosion im Opernhaus, sondern kunterbuntes Musiktheater. Das Junge Forum hat Aus Deutschland jetzt als Abschlußarbeit im Studiengang Musiktheaterregie inszeniert. Mit Erfolg. Die 1972 geborene Rebecca Rosenthal wagte sich an ein unopernhaftes Projekt, das dem gewöhnlichen Betrieb einigermaßen fernsteht. Diese Ferne entglitt aber nicht zur konzeptionellen Rätselstunde, zur langatmigen Symbolrevue.

Kagels Musik und das komödiantische Talent einiger Darsteller arrangierten sich zu einer prallen Parade des Komisch-Genialen. Der Goethe Tischbeins wandert selbstverliebt durchs Bild, mutiert zum „Neger“-Klischee, singt Gospels. Schubert (Fernando Cobo), deutlich als Witzfigur zu erkennen, aber steht im Zentrum des Geschehens.

Wir hören seine Klänge, die den zunächst intimen Charakter der Szene stützten. Aus der Winterreise ist der Leiermann ausgeborgt, der in Lumpen gehüllt von drei knurrenden Menschenhunden als Panzerfahrer oder Bomberpiloten belästig wird. Heinrich Heines Klage, daß „die deutsche Vaterlandsliebe erst an der Grenze beginne“, führt dann zu den Napoleonischen Kriegen: Zerschundene Füssiliere der Grande Armée schleppten sich nach Hause. Auch diese Revolution war nur ein Traumbild.

Schubert, der einsame Romantiker, sitzt am Sperrholzflügel, ein eitler Kammersänger (Michael Brieske) verdeckt das geniale Männlein, um seine Rezitation salongerecht für Damenaugen zu inszenieren. Natürlich stirbt am Ende der Komponist, man deponiert ihn auf dem Flügel.

Aus Deutschland ist gewiß keine Kalauerparade; dafür sorgt allein schon die Musik, die als typisch Kagelsche Kuriositätenkiste daherkommt. Jazz a la Gershwin, Gospeleien, Quetschkommodenklänge und Schubertsche Traurigkeit speisen diese ironische, bisweilen tief zu Herzen gehende Deutschlandreise. Sebastian Feldkamp

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