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Zwischen Laufsteg und Luftschutzkeller

■ Hundemodenschau aus den vierziger Jahren präsentierte rosa Pudel mit Goldkettchen

Die Revival-Jahrzehnte werden langsam knapp: die 70er, 60er und 50er Jahre sind durch; die 80er und 90er sind noch nicht so richtig reif für den Hype. „40s – Feel the forties“, denkt sich also chronisch & chronologisch konsequent die Zigarettenmarke „West“ und wiederbelebt heißkalte Kriegszeiten. Nachdem der Gedenkrummel des Frühjahrs verklungen ist, spielen im Auftrag des Tabakkonzerns jetzt die Swingbands auf: In Hamburger Bars wurden dazu jüngst Cocktails im Stil der Zeit gereicht, in Berlin kam am vergangenen Freitag im „Meistersaal“ am Potsdamer Platz noch eine Hundemodenschau dazu. Rosa Pudel mit Goldkettchen: Zusammenführung von Standardtänzern und Technokids im Zeichen des Nachkriegs- Kitsches.

Dank intensiver „Recherchen“ der von West beauftragten Hamburger Kunstmarketingagentur „Art for Industry“ wissen wir: Nicht alle Hunde repräsentierten damals auf dem Obersalzberg, winselten in Luftschutzkellern oder waren auf Stacheldrahtpatrouille. Nein, einige von ihnen durften, die Aufnahmen der Wochenschau beweisen es, zusammen mit den Urgroßmüttern der Supermodels auf dem Laufsteg Gassi gehen! Und damit dabei nicht jeder nur an Eva Braun und Schäferhündin Blondi denkt, betont Frau Silvia Wolf (!) von besagter Kunstmarketingagentur, daß das mit den Hundemodenschauen damals ein „weltweites Thema“ war. Überhaupt sei man an „Feel the forties“ keineswegs unter „deutschem Blickwinkel“ herangegangen, sondern natürlich mit dem „internationalen“.

Die vierziger Jahre seien eben „nicht nur Krieg“ gewesen, sondern auch Mode, Musik und Film: jede Menge glamourfähiges Material, das „mental in die dreißiger und fünfziger Jahre verdrängt“ worden sei! Ja, ja, die „bunten Lichter abseits der Verdunkelung“ (so der Conférencier des Abends), wir hatten sie gar nicht mehr wahrhaben wollen vor lauter Vergangenheitsbewältigung.

Neben Zigarettenspitzen, -schachteln und -etuis sowie Streichhölzern im Retro-Design läßt die „Marke West“ auch eine Art Ballzeitung auslegen. Der West Wochenbote bringt historische Nachrichten aus den Branchen Musik, Mode, Film und Automobil. Nur ein „Trichter, geformt aus einer ausgedienten Konservendose der US-Armee“, erinnert daran, daß zur Zeit der Modenschau gerade 1.000 Jahre vergangen sind.

Ein „Event“, am Halsband herbeigezogen wie die aufgemotzten Vierbeiner auf dem Laufsteg: Fernsehteams en masse, Prominenz Fehlanzeige, Bier überteuert. Zarah Leanders abgewandelte Nazi-Hymne („Ich weiß, es wird einmal ein Hund vor mir stehn“) eröffnete eine getarnte Musterschau, die etwa so aufregend daherkam wie der bunte Abend nach einem Managerseminar.

Den Frauchen/Hund-Contest gewannen übrigens „Kerstin & Damien“ – das Mannequin mit dem durchsichtigsten Kleid und der plüschigste Köter. Philip Kahle

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