: Führers Geburtstag auf tamilisch
Einige tausend Anhänger der „Tamil Tigers“ begehen heute in Krefeld den Märtyrertag. Doch unter Exil-Tamilen wird die extrem autoritär geführte Befreiungsorganisation immer lauter kritisiert ■ Von Constanze von Bullion
„Ich kämpfe für mein Land“, sagt Kumanan, „nicht mit dem Gewehr, mit anderen Waffen.“ Entschlossen schiebt der junge Mann mit dem schmalen Schnauzbart eine Dose mit Dias über den Tisch. Zerstörte Dörfer, ausgebombte Schulen, Leichen. „Das zeigen wir tamilischen Kindern und Jugend- lichen, damit sie nicht vergessen, was in Sri Lanka passiert.“
Kumanan Selvarajah, im zivilen Leben Azubi für Industrietechnik, kämpft für Tamil Eelam, einen unabhängigen Tamilenstaat im Norden Sri Lankas. Seit neun Jahren lebt er in Berlin-Kreuzberg, jede freie Minute seines Lebens gehört dem „Führer“. Der strahlt von einem Kalender über der Wohnzimmergarnitur herunter: Velupillai Prabhakaran, Gründer und Feldherr der „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE).
Gestern hatte der Chef Geburtstag. Und heute, am „Märtyrertag“, wollen rund 6.000 in Deutschland lebende Tamilen ihn feiern. Die Unterstützervereine der „Tamil Tigers“ haben zur Kundgebung in Krefeld aufgerufen, etliche Busse starten auch aus Berlin. „Wir werden Kampflieder für die Gefallenen singen“, erklären Kumanans Schwestern Maithily und Kunthavi, für ein paar Tage gibt es schulfrei. Wie jedes Jahr werden junge Tamilen in Tarnanzug und Stechschritt über die Bühne marschieren, werden Fotos toter Helden und markige Bekenntnisse zur Nation an den Bürgerkrieg in der Heimat erinnern – damit es in den Spendenbüchsen klimpert. Führers Geburtstag, made in Sri Lanka.
Im Wohnzimmer der Familie Selvarajah ist es gemütlich warm. Aus einer kleinen braunen Kanne wird Tee ausgeschenkt. Bunte Hochzeitsbilder an der Wand und eine Fototapete mit grünen Palmen – Sri Lanka, die „heilige Insel“ vor der Südspitze Indiens, ist unvergessen. Fünf Personen teilen sich eine Zweieinhalbzimmerwohnung im vierten Stock. Für den Fototermin hat Kumanans Vater seinen karierten Saram, das traditionelle Wickeltuch srilankischer Männer, gegen lange Hosen vertauscht.
Vor fünfzehn Jahren kam der Großhandelskaufmann, der heute Zeitungen zustellt, nach Berlin. Sechs Jahre lang mußte er sich mit Fluchthelfern und Asylbehörden herumschlagen, um seine Frau und fünf Kinder nachholen zu können. Währenddessen überrollte der Bürgerkrieg sein Heimatdorf Palaly auf der Halbinsel Jafna. Nach der ersten Vertreibung baute die Mutter ein neues Haus auf, bald wurde sie wieder verjagt. Ihre Geschwister und die Großmutter sind jetzt erneut auf der Flucht, erst nach wochenlanger Funkstille kam vor kurzem ein Lebenszeichen in Berlin an.
„Für die Freiheit müssen wir alle kämpfen, egal ob Männer oder Frauen“, sagt Vater Selvarajah wieder und wieder. Beifälliges Nicken seiner Kinder. Widersprochen wird nicht, wenn das Familienoberhaupt über Politik redet. Die Mutter der siebenköpfigen Familie, wirkt geräuschlos hinter den Kulissen. „Wir haben eben andere Traditionen als ihr im Westen“, erklärt Maithily in perfektem Deutsch. Keine Sekunde zweifelt sie daran, als Jungfrau in die Ehe zu gehen und ein Leben lang mit einem Mann zusammenzubleiben: „Mir ist das kein bißchen peinlich.“
Tradition und Politik gehören für Maithily zusammen. Demnächst wird sie Fachabitur machen, außerdem organisiert sie für den Tamilischen Studentenverein Demos, gibt Nähkurse und nimmt Tamil-Stunden in einer der 89 Schulen, die die „Tiger“ in Deutschland aufgebaut haben.
Boß in Maithilys Studentenverein ist ihr Bruder Kumanan. Neben der Ausbildung organisiert er tamilische Fußballturniere, betreut jugendliche Flüchtlinge oder kümmert sich um die Vereinskasse. Kommt eine neue Flüchtlingsfamilie nach Berlin, geht er sie mit Freunden besuchen und stellt eine große rote Sammelbüchse in der Wohnung auf. Nach einem halben Jahr kommen die LTTE-Helfer wieder, wenn die Dose leer geblieben ist, wird über den Kampf in der Heimat geredet. Wo die politische Überzeugung fehlt, hilft dann meist das schlechte Gewissen. Einsatz für die Nation, das heißt Einsatz für die „Tiger“.
Immerhin – ob sie sich mit Dynamitweste am Leib und Zyankalikapsel um den Hals für Kamikaze- Einsätze gegen die Armee melden würden wie ihre Altersgenossen in Sri Lanka, da sind sich die beiden nicht ganz sicher. Daß tamilische Kinder selbst auf der Flucht noch von den „Tiger“-Rebellen für Kampfeinsätze rekrutiert werden, will Maithily auch nicht wahrhaben. Da ist ihr Bruder etwas anderer Meinung: „Die Kinder müssen sowieso sterben“, meint er, „da können sie auch noch ein paar feindliche Soldaten hochgehen lassen.“
Der Krieg ist immer präsent im Wohnzimmer der Selvarajahs. Von Verhandlungsmöglichkeiten oder gar Frieden für Sri Lanka redet hier keiner. Und daran wird sich so schnell nichts ändern. Festgefügte Familienstrukturen und ein streng nach Führerprinzip organisiertes Vereinsleben sorgen dafür, daß die Heimatfront der Exil-Tamilen nicht ins Wanken gerät.
Unermüdlich wiederholen die Zeitungen der „Tiger“ nationale Aufrufe, Tag und Nacht läuft ein telefonischer Ansagedienst mit Kriegsberichterstattung der LTTE. Fest in der Hand der Nationalen sind auch die großen Tamilenvereine in Berlin. Neben dem Studentenverein, dem Tamilischen Kulturverein, der Tamils Rehabilitation Organisation und der Eelam Tamils Welfare Association gilt auch der hinduistische Tempel in der Kreuzberger Urbanstraße als Hochburg der „Tiger“.
Doch hinter der unbeweglichen Fassade der Exil-Gemeinde gärt es. Immer mehr Studenten und Intellektuelle begehren gegen das militaristische Weltbild der „Tiger“ auf. Vasanthi Sivanayakam war fünfzehn, als sie zu Hause ein Familiendrama ins Rollen brachte. Als Tochter einer „Tiger“-Familie wuchs auch sie in einer Welt auf, die von Diskriminierung, Krieg und Flucht gezeichnet war. Für die Freiheit des tamilischen Volkes zu kämpfen ist für sie auch nach über zehn Jahren in Deutschland selbstverständlich. Doch von den „Tigern“ trennen sie inzwischen Welten. „Auf der Tribüne predigen sie Freiheit, zu Hause haben sie mich unterdrückt.“ Für Vasanthis Eltern war die Emanzipation ihrer Tochter ein Schock. Immer wieder sperrte ihr Vater sie ein, weil sie nicht aufhörte, in tamilischen Zeit- schriften feministische Gedichte zu veröffentlichen. Die Kritik am sozialen Gefüge der tamilischen Gesellschaft – in den autoritären Denkmustern ihrer Familie ein Sakrileg.
„Nationalistisch, undemokratisch und frauenfeindlich“ sind für Vasanthi die „Tiger“, in deren Welt für sie kein Weg zurückführt. Von zu Hause ist sie längst ausgezogen und hat ein Studium begonnen, heiraten ist für sie ein Fremdwort. Zu ihrem Lebensalltag gehören regelmäßige Treffen mit feministischen Schriftstellerinnen und Aufklärungsarbeit über Menschenrechtsverletzungen von Regierungstruppen und LTTE in Sri Lanka. Doch der Preis für die Freiheit ist hoch.
„Sie können mich töten“, sagt die junge Frau plötzlich leise. Und sie weiß, wovon sie spricht. Wer öffentlich gegen die „Tiger“ aussagt, zumal in der „ausländischen“ Presse, risikiert unter Umständen sein Leben. „Wir sehen uns in Sri Lanka“ heißt die unverhohlene Drohung, mit der die Anhänger der LTTE politische Abweichler einschüchtern. Denn ob Freunde oder Feinde der „Tiger“: Nach Hause zurückkehren möchten sie eines Tages alle.
Vasanthi weiß genau, wie die „Tiger“ mit ihren Gesinnungsgenossinnen in Sri Lanka verfahren. Wo immer sich kritische Stimmen erheben, schlagen die Häscher der Guerilla zu. Opposition gilt als Verrat. Neben den Anhängern mißliebiger Parteien sind vor allem Intellektuelle, Journalisten und Frauenrechtlerinnen in Gefahr. So wurde 1989 die Ärztin und Universitätsdozentin Rajini Thiranagama umgebracht, die in einem Buch die Strategien der LTTE kritisierte und ihren aggressiven Heldenkult für unvereinbar mit der Befreiung der Frau erklärte. 1991 verschwand die feministische Schriftstellerin und PEN-Preisträgerin Chelvi Thiagarajah in einem der berüchtigten Gefangenenlager der LTTE, bis heute weiß keiner, ob sie noch lebt. Der lange Arm der Guerilla reicht weit über die Küsten Sri Lankas hinaus. Am 1. Mai letzten Jahres wurde der bekannte LTTE-Aussteiger Sabalingham Sabaratnam von einem anonymen Killerkommando in seiner Pariser Wohnung erschossen. Der ehemalige Vertraute von „Tiger“-Führer Prabhakaran stand kurz vor der Veröffentlichung eines Buches, das Konflikte innerhalb der LTTE beschrieb. Drei Monate nach dem blutigen Attentat ging die Bibliothek kritischer Exil-Tamilen im kanadischen Toronto in Flammen auf. Daß die „Tiger“ dahintersteckten, bezweifelt kaum jemand.
Bedrohung für Tamilen, die aus der eingeschworenen Gemeinschaft ausbrechen, ist auch bei deutschen Flüchtlingshelfern längst bekannt. So berichten Vertreter von „Pax Christi“ über Schutzgeldzahlungen zwischen 100 und 500 Mark im Monat, die von den LTTE-Unterstützern manchmal mit Gewalt eingetrieben werden. Von moralischem Druck bis zu Prügeln reichen die Methoden, mit denen säumige Zahler auf ihre nationalen Pflichten hingewiesen werden. Einer Tamilin, die keine 2.000 Mark für den Kampf abdrücken konnte, wurde gedroht, das Haus der Familie in Sri Lanka zu kassieren.
Es gibt keine srilankische Tamilenfamilie in Berlin, die nicht Verwandte und Freunde im Bürgerkrieg zurückgelassen hat. Niemand also, der nicht erpreßbar wäre mit der Not der Kriegsopfer und Flüchtlinge. Wer könnte seine Hilfe verweigern, wenn eine halbe Million Landsleute obdachlos ist, wenn die Zukunft eines ganzen Volkes auf dem Spiel steht. „Mad people – Wahnsinnige“, das sind für V. S. Gunaradnam, Vorstandsmitglied der Berliner Eelam Tamils Welfare Association, alle, die sich der LTTE in den Weg stellen wollen. „Tigers sind Tamilen –Tamilen sind Tigers“, für Studentenführer Kumanan Selvarajah gibt es längst keine Parteien mehr, es gibt nur die tamilische Nation.
„Ich kämpfe für mein Land“, sagt Vasanthi, „aber mit anderen Waffen als die ,Tiger‘.“ Hinter ihr steht eine unsichtbare Schar mutiger Mitstreiter, die weltweit an einem Netz informeller Beziehungen stricken und unter hohem persönlichen Risiko für die tamilische Unabhängigkeit in einem demo- kratischen Staat werben. Damit eines Tages vielleicht auch Familie Selvarajah das Bild vom „Führer“ in der Schublade verschwinden läßt. Irgendwann nach dem Krieg.
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