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„Ermutigung zur Verschwendung“

■ Neue Strompreissenkungen: Haushalte sparen wenig, Gewerbe und Industrie ganz viel / Umweltsenator leidet unter Zungenlähmung Von Marco Carini

Am 1. Januar ist es soweit: Die Strompreise sinken, durch den Wegfall des Kohlepfennigs, in den Keller. Doch während die privaten Haushalte davon kaum profitieren, dürfen Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft mit erheblichen Preissenkungen rechnen.

Um durchschnittlich 8,4 Prozent werden ab 1. Januar die sogenannten Tarifkunden der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) durch den Wegfall der Zechen-Subventionen entlastet. Dafür aber steigt die Konzessionsabgabe, die die HEW an die Stadt zahlen müssen. Zudem sorgt eine „Strukturanpassung“ dafür, daß nicht alle Tarifkunden gleichmäßig vom Wegfall des Kohlepfennigs profitieren: Während Gewerbeunternehmen und landwirtschaftliche Betriebe bei gleichem Stromverbrauch ab nächstem Jahr 9,3 Prozent weniger zahlen müssen, liegt die Ersparnis bei den Privat-Haushalten nur bei 5,4 Prozent. Der Durchschnittshaushalt wird so – nach HEW-Berechnungen – lediglich um monatlich 4,59 Mark sinken.

Umweltsenator Fritz Vahrenholt ist das schon zuviel. Bereits im März, als der Kohlepfennig gekippt wurde, begann er sein großes Wehklagen. Mit den Stromtarifen, so Vahrenholt, sinke auch „der Anreiz zum Stromsparen“. Da die wegfallende Zechensubvention nicht durch eine bundesweite Energie-Steuer für die Industrie ausgeglichen wird, tat Vahrenholt, was er am besten beherrscht: Mit gestrecktem Zeigefinger wies er auf die Schuldigen in Bonn. Die betrieben, so der Senator, eine „unverantwortliche, anti-ökologische Politik“, eine „Ermutigung zur Stromverschwendung“.

Doch der sachzwanggebeutelte Senator hätte gar nicht in die Ferne schweifen müssen. Während der nebenberufliche HEW-Aufsichtsratsvorsitzende sich über Billig-strom und Energieverschwendung aufregte, plante der Vorstand desselben Energiekonzerns massive Strompreissenkungen: für seine Industriekunden, die seit jeher in den Genuß saftiger Mengenrabatte kommen. Durchschnittlich 8,5 Prozent weniger müssen die Industrieunternehmen bereits seit Juli dieses Jahres bezahlen, im nächsten Jahr folgt dann der Tarifsenkung zweiter Teil.

Den größten Stromverbrauchern, wie den Hamburger Aluminiumwerken, der Norddeutschen Affinerie und den Hamburger Stahlwerken, die gemeinsam mehr Strom verbrauchen als alle Hamburger Haushalte zusammen, wurden im Juli gar Preisnachlässe bis zu 16,7 Prozent eingeräumt. Der Grund: Die Verringerung der HEW-Betriebskosten in den vergangenen Monaten wurde ausschließlich auf die Industriekunden umgelegt – die privaten Haushalte hingegen gingen leer aus. Und damit nicht genug: Auch vom Wegfall des Kohlepfennigs wird die Industrie natürlich – soweit von der Subventionsabgabe nicht sowieso schon befreit – noch einmal kräftig profitieren.

Gerade für die Industrie gilt Vahrenholts Gleichung: Kleine Strompreise gleich große Energieverschwendung. Doch anders als beim Kohlepfennig zeigte der wortgewandte Stromsparappell-Senator bei den Preissenkungen für Industriestrom Anzeichen von Zungenlähmung: Kein einziges Wort zum Thema in der Öffentlichkeit.

Statt dessen rührt Vahrenholt lautstark die Werbetrommel für einen Fonds, in den alle Kohlepfennig-Befreiten ab Januar 1996 freiwillig den eingesparten Differenzbeitrag einzahlen können: Zur Förderung regenerativer Energien. Wenig vorbildlich allerdings: Die Umweltbehörde wird wie alle anderen Hamburger Behörden ihre Strompreisersparnisse einfach einsacken. In den Sonderfonds sollen nur die anderen einzahlen.

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