Trau Dich!

■ Hilde Kappes, Stimmakrobatin von der Mosel, produziert vokale Unanständigkeiten auf „Schortuanisch“/ Heute abend im „Callas“

Seit einiger Zeit macht die einunddreißgjährige Hilde Kappes aus Bernkastel-Kues (Mosel) von sich reden. Schwer, sie als Sängerin, als Improvisateurin oder Schlagzeugerin zu bezeichnen. Vielleicht kann man sagen: Sie ist Stimmakrobatin, setzt alles, was sie denkt und fühlt, in Stimme um. Sie lacht, sie grunzt, schreit, jubelt, weint – und sie singt eine Kunstsprache, „Schortuanisch“, eine Lautwelt, in der nichts je wiederholt wird. Sie singt keinen bestimmten Stil, ist weder der Neuen noch der klassischen Musik zuzuordnen, sondern erzeugt „Stimmungen und Atmosphären“. taz: Frau Kappes, jedes Kind singt ja in irgendeiner Weise. Wie kam es denn bei Ihnen dazu, daß Ihnen das schon als Kind nicht reichte?

Hilde Kappes: Ich habe sehr gern im Kirchenchor meines Vaters gesungen, Sopran und wenns nötig war, auch Tenor. Und dann habe ich stundenlang am Klavier mit meiner Stimme experimentiert, heimlich, weil das in meinem sehr katholischen Elternhaus verpönt war: „Mach nicht solche Stimmen oder mach nicht solche Fratzen“, sagte meine Mutter immer. Dann wollte ich alle Künste auf einmal studieren, und saß auf dem Bett und heulte, weil das nicht ging. Ich habe dann im Hauptfach Rhythmik studiert, dazu Gesang und Klavier.

Anders als bei anderen SängerinInnen oder InstrumentalistInnen bieten Sie sich mit ihren Äußerungen ja sozusagen selbst an, machen aus Ihrem privaten Ausdrucksbedürfnis eine Profession. Gibt es da eine Kollison von Öffentlichkeit und Privatheit?

Genau, das ist schon ein Problem. Denn, was ich anbiete, ist meine eigene Verrücktheit. Und die muß ich natürlich kanalisieren, auf einen Punkt bringen, der auch andere interessiert. Aber mit meiner Selbstbefreiung bin ich auch total missionarisch, ich will, daß meine ZuhörerInnen sich in diese Stimmungen hineinversetzen können, ohne daß mein Angebot eine falsche Projektionsfläche ist wie zum Beispiel bei einem Idol wie Michael Jackson.

Sie hätten im klassischen Gesang oder auch im Free Jazz oder auch der neuen Musik zu Hause sein können. Warum wollten Sie das nicht?

Also, klassischer Gesang: totale Entfremdung, ein solcher Ausdruck wäre nie mein eigener. Jazz: ich kann diesen anhaltenden Krach nicht ertragen. Und Neue Musik: Mir tut das Publikum leid. Sie ist so fürchterlich ernst, so ohne Witz, es gibt keine Möglichkeit, sich zu entspannen.

Was war denn das Schwierigste bei der Umsetzung Ihrer Gefühle in musikalische Formen?

Mich zu trauen. Unanständiges mit der Stimme zu machen. Überhaupt an Singen anders heranzugehen. Sonst ist schön singen die Norm. Aber meiner Meinung nach kann man überhaupt nicht schön singen, wenn man nicht erfahren hat, was häßliches Singen ist, und daß „häßlich“ auch ganz relativ ist. Sich das alles zu trauen, alles Gelernte infrage zu stellen, war das Schwerste. Und ist es übrigens immer noch.

Und gesangstechnisch?

Das ist untergeordnet. Am wichtigsten auch hier: sich zu trauen, alles Innere rauszulassen. Das meiste, was heute so technisch klingt, habe ich mir selber beigebracht, weil ich, wie gesagt, die „Stimmung“ oder die „Atmosphäre“ suchte. Da hat mir übrigens mein erster Gesangslehrer entscheidend geholfen, in dem er mir nicht vorschrieb: Sing so und so.

Wie kommen Sie zu einem neuen Stück? Sie machen grenzenlos Stimmen und Geräusche nach, aber erfinden Sie auch welche?

Ich erfinde alles aus der Improvisation heraus, aus dem Spielen entsteht die Idee. Ganz selten ist eine Idee vorher da.

Haben Sie Vorbilder?

Ja, Meredith Monk natürlich, und Shelley Hirsch. Diese Frauen haben mir die Erlaubnis gegeben, so zu singen. Ich nenne das so, weil ich ganz alleine vielleicht nie den Mut gehabt hätte, mich so zu produzieren. Auch Shainko Namchalak finde ich beeindruckend, obschon mir das Spirituelle bei ihr fremd ist.

Wie kam es denn zu ihrer Kunstsprache „Schortuanisch“?

Ich habe ja Rhythmik, also Trommeln studiert. Da paßte weder Englisch noch Deutsch und Afrikanisch konnte ich nicht. Also habe ist diese Sprache erfunden. Alle Leute, die sie auf meinem Anrufbeantworter hören, fragen, was das für eine Sprache sei!

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

Hilde Kappes, heute abend um 20 Uhr im „Callas“, Überhammerstr. 41, Worpswede