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„Nicht schuldig! Darauf bestehe ich“

Der DDR-Autor und Schriftstellerverbands-Präsident Hermann Kant behauptet, nie ein Stasi-Spitzel gewesen zu sein. Der Journalist Karl Corino beweist in einer Biographie anhand von MfS-Unterlagen das Gegenteil  ■ Von Udo Scheer

Es ist schon erstaunlich: Vom und über den Inoffiziellen Mitarbeiter „Martin“ sind 2.254 Blatt Stasi-Akten erhalten geblieben. Künstlerpech! Die Gunst des Reißwolfs und damit die Chance, die eigene Vergangenheit glattzupolieren, gelang vielen weit unbedeutenderen Systemträgern als Hermann Kant, dem Präsidenten des Schriftstellerverbandes der DDR. Er versuchte es dennoch. In seinen 1991 erschienenen „Erinnerungen“ unter dem sarkastischen Titel „Abspann“, schrieb er einleitend: „Alles soll nur so auf dieses Papier, wie ich es wahrgenommen habe. Gedächtnistäuschungen, Ideologie und Erzählübermut werden ohnehin das Ihre tun.“ Die „Erinnerungen“ waren dann auch entsprechend schöngefärbt.

Jetzt hat der Literaturwissenschaftler und Journalist Karl Corino Hermann Kants Erzählübermut zurechtgestutzt und die politische Biographie des Schriftsteller- Funktionärs analytisch aufgearbeitet. Ergänzt durch 450 Dokumentenseiten und Fußnoten hat Corino ein aufschlußreiches Charakter- und Zeitzeugnis vorgelegt.

Bereits 1951 zeigen Kants Denunziationen Folgen. Johannes Krikowski, sein Kommilitone an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät in Greifswald, einer jener Einrichtungen, die die künftige sozialistische Elite an das Abitur heranzuführen hatte, wird zu 25 plus zehn Jahren Strafarbeitslager im Eismeer-Gulag Workuta verurteilt. Nach seiner Amnestie 1955 erklärt er an Eides statt, daß nur dank Kants Informationen, wonach er u. a. „von freien und demokratischen Wahlen gefaselt habe“, die Anklage um den Punkt „Feind der DDR“ erweitert werden konnte. Wie progressiv liest sich diese Zeit dagegen in Kants Frühwerk „Die Aula“. Corino urteilt nach seinen Recherchen: „Dieses Buch, das in Ost und West zur Schullektüre gehörte [...] gehört zu den Potemkinschen Dörfern des sozialistischen Realismus.“

Ab 1957 gibt der Genosse Kant, Mitglied der Universitätsparteileitung und inzwischen Dozent an der Ostberliner Humboldt-Universität, die vornehmlich auf die Freie Universität (in West-Berlin zielende Studentenzeitung tua res heraus. Das Redaktionszimmer wird zum regelmäßigen Stasi- Treff. Die „Kontaktperson Kant“ liefert Psycho- und Soziogramme über „interessierende Personen“. Auch über einen Freundeskreis um Dieter Borkowski und den in West-Berlin studierenden Hans- Joachim Staritz. Staritz wird 1958 zu acht Jahren Zuchthaus wegen „Boykotthetze“ verurteilt. Borkowski erhält 1960 wegen „fortgesetzter staatsfeindlicher Hetze“ zwei Jahre aufgebrummt.

„Ich bin kein Mitarbeiter dieser Institution geworden und es auch nicht gewesen, war es nicht und bin es nicht“, verteidigte sich der DDR-Schriftsteller-Präsident bei einer Diskussion mit Günter Grass im Oktober 1992 in Marburg.

Eine glatte Lüge. Am 18. Februar 1963 promovierte der MfS- Oberleutnant Treike den Schriftsteller Hermann Kant in den Rang eines „geheimen Informanten“. In seinem Bericht über die IM-Werbung schreibt er: „Da der Kandidat seit dem 6. August 1957 inoffiziell mit dem MfS zusammenarbeitet, wurde bei dem Kandidaten von einer schriftlichen Verpflichtung Abstand genommen.“ Kant berichtet weiter – wie er es immer getan hatte – über die PEN-Tagungen Ost und West, über die Schriftstellerkongresse der DDR, über Auseinandersetzungen in der Parteigruppe des Verbandes. Er berichtet über Biermann, Kunert, Hermlin, über die Frankfurter Buchmesse und über ein Treffen mit Peter Weiss und Uwe Johnson in West-Berlin.

Unerwartet bezichtigt ihn Günther Zehm am 7. April 1964 in der Welt, ein „Spitzel der Staatsmacht“ gewesen zu sein. Kant geht unverzüglich zum Angriff über. Seinem Naturell gemäß geschieht das zynisch bis verquast. Das Neue Deutschland druckt am 22. April 1964: Die Behauptung, „Spitzel“ der Staatsmacht gewesen zu sein, sei „nicht zu widerlegen; sie ist ihrer Natur nach ebenso unwiderlegbar, wie es etwa die Behauptung wäre, ich sei in Wirklichkeit der Mann im Mond“.

Die Dekonspiration sorgt für Wirbel, aber „Martin“ bleibt weiter dienstbar. Seine Wohnung wird zum konspirativen Stasi-Treff. 1975 kommt er gegen den operativen Schwerpunkt „Selbstverlag“ zum Einsatz, gegen den Versuch von Klaus Schlesinger, Martin Stade und Ulrich Plenzdorf, eine Anthologie „Berliner Geschichten“ unzensiert herauszugeben. 1976 erhält er vom MfS die „Medaille für Waffenbrüderschaft in Silber“ für die „Erarbeitung operativ wertvoller Informationen“ überreicht.

„Nicht schuldig! Ich habe immer gesagt, ich war nie inoffizieller, offizieller oder sonstiger Mitarbeiter der Staatssicherheit, darauf bestehe ich nach wie vor.“ Diesen kindisch trotzigen Satz ließ Hermann Kant als Antwort auf Karl Corinos Buch „Die Akte Kant“ im September über die Nachrichtenagenturen verbreiten. Kein Eingeständnis, keine Entschuldigung. Eine Identifikationsfigur für Gleichgesinnte. Wie sagte Günter Kunert? „Kant reagiert wie jeder gewöhnliche Kriminelle: Abstreiten, alles abstreiten.“

1976 wurde Kant von seiner IM- Verpflichtung entbunden. Er war zum Mitglied der Bezirksleitung Berlin avanciert. In dieser Funktion war die Zusammenarbeit mit dem MfS selbstverständlich. Zuletzt saß Kant im Zentralkomitee der SED.

Gleichzeitig suchte der Duzbruder Erich Honeckers die Anerkennung durch die literarische Opposition. Corino dokumentiert, wie energisch er sich für die Publikation von Tschingis Aitmatow in der DDR, für die zweite Auflage des Loest-Romans „Es geht seinen Gang“, für den Abdruck von Erwin Strittmatters „Wundertäter“ Teil III einsetzte. Nur dumm, daß eine Information des Parteisekretärs des Schriftstellerverbandes Gerhard Henninger erhalten blieb, Danach erklärte Kant dem ZK sein Doppelspiel so: „Wenn das Buch von Erich Loest jedoch keine Nachauflage erhält, würde er wie ein Messer ohne Klinge dastehen. In künftigen Auseinandersetzungen, wo es unter Umständen um größere Probleme als ein Loest-Buch gehen könnte, würde dann niemand mehr auf ihn hören.“

Hermann Kant verstehen zu wollen bereitet Kopfschmerzen. Seine eigenen Bücher, voll von Verzerrungen, verstärken sie noch. Erst „Die Akte Kant“ macht es möglich, seine Halbheiten zu entschlüsseln. Denn: „Nicht der Verrat, sondern der Verrat unter Leugnung des Verrats ist das Schlimmste für jeden produktiven Prozeß.“

Karl Corino (Hrsg.): „Die Akte Kant“. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1995, 512 S., 24,80 DM

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