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Stachel im Fleisch der Generäle

■ Kritische Journalisten in Nigeria arbeiten am Rande der Legalität, mit einem Bein im Gefängnis und in ständiger Sorge um das Verbot ihres Blattes. Aber die unabhängige Presse ist Nigerias vitalste Oppositio

Lagos (wps) – Im Laufe einer Woche schläft der Nigerianer Seye Kehinde in drei verschiedenen Häusern, er übergibt Dokumente an geheimen Orten und verkleidet sich, um Kollegen zu treffen. Er arbeitet jedoch nicht für den Geheimdienst. Er ist Redakteur.

„Es ist sehr schwer, in Nigeria Journalist zu sein“, sagt der 30jährige Kehinde, der in den vergangenen zwei Jahren zweimal festgenommen wurde. „Jede Geschichte kann zur Verhaftung führen.“ Kehinde gibt die Wochenzeitung Tempo heraus und übernahm im Juni auch die Leitung der Wochenzeitschrift The News, nachdem sein Vorgänger dort, Kunle Ajibade, wegen „Anstiftung zu öffentlichem Unmut“ zu lebenslangem Gefängnis verurteilt wurde.

Im Oktober verkündete Nigerias Militärherrscher General Sani Abacha die Wiederzulassung eines Großteils von etwa 20 Publikationen, die er 1994 verboten hatte. Die Medien seien „frei, ihre Meinung zu äußern“, sagte Abacha. Aber der Regierung gehören alle Radio- und Fernsehsender.

Eddie Iroh, ein bekannter ehemaliger Herausgeber, sympathisiert mit Bemühungen, „unverantwortliche Journalisten“ zum Schweigen zu bringen. „Sie suchen Schlagzeilen, nicht die Wahrheit“, sagt er. Aber er gibt zu, daß auch wahrheitsbewußte Journalisten nicht frei arbeiten können. „Es geht nicht darum, ob eine Geschichte stimmt oder nicht. Es geht um die nationale Sicherheit. Im Grunde geht ein Journalist das größere Risiko ein, wenn seine Geschichte wahr ist.“

Seit seiner Machtergreifung 1993 hat Abacha das Parlament geschlossen, politische Parteien verboten und Berufungsmöglichkeiten gegen Urteile von Militärtribunalen abgeschafft. Die Hinrichtung des Schriftstellers Ken Saro- Wiwa am 10. November rief weltweit Proteste hervor. Aber die unabhängige Presse lebt. Das Halbdutzend regimekritischer Zeitungen und Zeitschriften bildet die derzeit vitalste Opposition zur nigerianischen Militärjunta.

„Manchmal fragen wir uns selber, wie wir das machen“, sagt Nosa Igiebor, Herausgeber der Wochenzeitschrift Tell. Der 42jährige Igiebor hat sein Büro seit April nicht mehr betreten: Damals tauchte jeden Morgen die Polizei auf. Igiebor entkam rechtzeitig, aber ein anderer Tell-Redakteur, George Mbah, wurde festgenommen und zu lebenslanger Haft verurteilt. „Wir arbeiten jetzt mobil“, erklärt Igiebor. „Wir treffen uns immer woanders. Manchmal redigiere ich im Auto.“ Auf eine Schließung des Blattes ist Igiebor vorbereitet: Er ist Mitgründer der neuen Zeitschrift Dateline. „Wir haben viele Titel registriert“, sagt deren Chef Ayodele Akinkuoto. „Wenn einer verboten wird, drucken wir einfach einen anderen.“

Nigeria hat eine lange Tradition freier Medien. Da das Regime die Presse nicht abschaffen kann, versucht es, sie zu kaufen. Ein Journalist erzählt, man habe ihm Geld, Autos und Auslandsreisen angeboten, wenn er seine Berichterstattung abmildere. Femi Kusa, Chefredakteur der lange Zeit respektiertesten Tageszeitung Nigerias, The Guardian, hat ähnliche Erfahrungen hinter sich. Im August 1994 war die Zeitung verboten worden; im vergangenen Juli lud Abacha ihre Direktoren zu einem Treffen ein. Danach wurde das Verbot wieder aufgehoben. „Es gab keine Gegenleistung“, beharrt Kusa. Aber drei hochrangige Redakteure verließen aus Protest das Blatt.

Seye Kehinde muß dauernd mit seiner Verhaftung rechnen. An einer Straßensperre verlangten Polizisten von ihm kürzlich 200 US- Dollar – sonst würden sie ihn wegen Besitzes „aufrührerischen Materials“ festnehmen. „Ich gab ihnen alles, was ich hatte, und dann mußte ich Geld suchen“, erinnert er sich. „Drei oder vier Stunden klapperte ich meine Freunde ab, mit allen vier Polizisten mit mir im Auto.“ Aber Kehinde will nicht aufgeben. „Wir drucken, bis der letzte verhaftet wird“, sagt er. „Wir haben keine Wahl.“ Bob Drogin

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