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Später Freispruch für Lebensretter Grüninger

■ Einer posthumen Rehabilitation für den Schweizer Polizeihauptmann Paul Grüninger scheint nichts mehr im Wege zu stehen. Er hatte Hunderte Juden gerettet

St. Gallen (taz) – Die posthume juristische Rehabilitierung von Paul Grüninger ist in Sicht. Das St. Galler Bezirksgericht hat der Revision des Strafurteils gegen den Judenretter aus dem Jahre 1940 zugestimmt. Dem von Grüningers Nachkommen geforderten Freispruch scheint nichts mehr im Wege zu stehen – das Urteil soll ohne weitere Verhandlung am Donnerstag verkündet werden.

Zahlreiche Kamerateams, darunter aus Japan, drängelten sich gestern im kleinen Saal des Bezirksgerichts. Auf den Zuschauerbänken nahmen Überlebende Platz. Sie waren aus Wien, Paris und Jerusalem angereist und erwarteten den Freispruch für den Mann, der ihnen 1938 als Polizeihauptmann das Leben gerettet hatte und dafür von der Schweizer Justiz abgestraft worden war (siehe taz von gestern).

Der Revisionsprozeß gilt als juristisches Novum. Zwar ist eine Wiederaufnahme laut Strafgesetzbuch möglich, doch wurde noch nie ein 55 Jahre altes Urteil wieder aufgehoben. Der St. Galler Staatsanwalt Markus Rohrer hatte gegen die Revision nichts einzuwenden – trotz Befürchtungen, aus dem Fall Grüninger könne ein „allgemeinees Widerstandsrecht gegen staatliche Anordnungen“ abgeleitet werden. Noch vor wenigen Jahren hatte die St. Galler Regierung behauptet, eine juristische Rehabilitierung sei nicht möglich. Der Anwalt der Nachkommen, der St. Galler SP-Nationalrat Paul Rechsteiner, argumentierte auf der Basis eines Gutachtens des Basler Professors Mark Pieth. Zentraler Punkt: Mit dem heutigen Wissen um den Holocaust liegen Tatsachen vor, die dem Gericht damals nicht bekannt waren.

Tatsächlich ging das Bezirksgericht 1940 nicht näher auf die Judenverfolgung ein – es sprach diffus von „politischen Ereignissen in Österreich“. Daß Grüninger Menschen vor dem sicheren Tod im KZ bewahrt hatte, ließen die Richter unberücksichtigt.

Denn auf der Anklagebank hätte damit die schweizerische Politik jener Zeit insgesamt gesessen, die sich mit dem J-Stempel, restriktiver Visumspolitik und Grenzschließungen die verzweifelten Juden vom Leib hielt. Solchen Anordnungen sich zu widersetzen sei geradezu humanitäre Pflicht gewesen, stellte Rechsteiner klar.

Das Bezirksgericht folgte der Argumentation, daß die existentiellen Nöte der verfolgten Juden damals nicht gewürdigt worden sind. „Die Juden waren 1938 im deutschen Reich an Leib und Leben gefährdet“, sagte Bezirksgerichtspräsident Werner Baldegger. Damit dürfte einem formellen Freispruch für Grüninger kaum mehr etwas im Wege stehen. Ralph Hug

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