: Der Mann, der nichts bereut
Vierzehn Jahre lang war Volker Hassemer Kultur-, Umwelt- und Stadtentwicklungssenator, nun mag der CDU-Linke nicht mehr mitregieren. Ein Portrait des widerspruchsvollen „Süssmuth von Berlin“ ■ Von Ute Scheub
Nein, einen Öko-Bauernhof will Volker Hassemer nicht gründen. „Da haben Sie mich an meiner wunden Stelle erwischt“, gibt er zu. „Dafür bin ich zu unpraktisch.“ Außerdem könne er sich was Schöneres vorstellen als „Gruschele zu robbe“, Stachelbeeren zu ernten und dabei durch Kratzbüsche zu krauchen. In seiner Jugend in einem pfälzischen Städtchen des Kreises Mainz-Bingen hat er für sein Leben genug Gruschele geerntet. Und schließlich geht es Berlins prominentestem Polit-Aussteiger auch darum, endlich „weniger zu arbeiten“. Nach fast 14jähriger Amtszeit als Senator verweigert der 51jährige Jurist das Weiterregieren.
Nicht wegen eines Politskandals, nicht aus Frust, nicht wegen eines lukrativen Postens in der Wirtschaft. Sondern weil er sich dieses Ende einer Dienstzeit „schon vor zwei, drei Jahren“ vorgenommen hat. Dem „Politikersyndrom, sich selbst für unentbehrlich zu halten“, habe er entgehen wollen, sagt er in seinem Amtszimmer und streicht mit den Fingerspitzen über die graue Haartolle, als wolle er den Hinweis geben, daß die Eitelkeiten eines Volker Hassemer sublimer sind als die anderer Politiker. Auch habe er herausgewollt „aus dieser Art von Machtgeflecht“. Er reckt das markant spitzige Kinn ein wenig: „Derzeit fühle ich mich sehr frei.“
Ein Akt mit Seltenheitswert: Wer gibt Macht schon freiwillig auf? Und lehnt dann auch noch andere lukrative oder ehrenvolle Posten wie zuletzt die des Parlamentspräsidenten ab? „Das war eine Versuchung“, gibt er zu. Aber die Rolle sei ihm zu repräsentativ und „zu wenig gestaltend“ gewesen. Was er nun statt dessen werden will, über seine Tätigkeit als einfacher CDU-Abgeordneter hinaus, darüber schweigt er würdevoll: „Noch ist nichts entschieden.“
Und eines wird im Laufe des Gesprächs auch deutlich: Sein Ausstieg ist kein Einstieg in die Büßerlatschen. Je ne regrette rien, „ich bereue nichts, das war alles sehr gut“, faßt er ähnlich wie einst Edith Piaf vor Selbstbewußtsein strotzend seine Karriere zusammen. Tatsächlich: Mit seinem kräftigen Eingreifen in die Stadtentwicklung, mit der Einrichtung des Stadtforums zur Gestaltung des Potsdamer Platzes beispielsweise oder mit dem sanften Umdirigieren der Bundesregierung in Altbauten statt in teuren neuen Protz – mit solchen demokratiefördernden Maßnahmen hat Hassemer seinen schon vorher recht guten Ruf gefestigt. „Hier ist ein ganz neues Fundament gelegt worden“, lobt er sich denn auch selbst. Auch in der Umweltpolitik seien – abgesehen von der Klimabelastung – „fast alle lokalen Probleme gelöst worden“. Soviel Lobhudelei finden manche, die sich sonst zu seinen Fans rechnen, denn allerdings zuviel: „Von seinen zwei Ressorts hat der Senator für Stadtentwicklung und Umwelt immer nur eins wahrgenommen“, meint ein Kritiker.
Wie kam der Sohn eines Bundesbahndirektors und einer Mutter „mit tiefer landwirtschaftlicher Abstimmung“ denn überhaupt zur Umweltpolitik? Waren es doch die pfälzischen Gruschele und die heimischen Äcker? „Kann sein. Ich habe darüber noch nie nachgedacht“, bekennt er.
Dieser Senator, der sich bis in die Grünen hinein einen Namen als moderner Kommunikator gemacht hat, hinterläßt als Mensch einen eher komplizierten und unzugänglichen Eindruck. Hassemer scheint zur Kompensation zu neigen: Mag sein, daß er ein Macher geworden ist – „gestalten“ ist eines seiner Lieblingswörter –, weil er im Grunde so unpraktisch veranlagt ist. Mag zudem sein, daß er so gerne Fundamente legt und von „Tiefe“ redet, weil er selbst bisweilen zum Überflieger neigt und sich im Schwadronierenden verliert.
Daß er nach dem Abitur Jura studierte und 1973 in Berlin mit dem Thema „Das Delictum sui generis“ promovierte, begründet er ebenfalls mit der „Tiefe“, die das Strafrecht im Gegensatz zum Zivilrecht noch biete. Dennoch: „Sobald ich konnte, habe ich mich von der Juristerei entfernt.“ Weil ihn „Umweltstrategien schon immer interessierten“, arbeitete er von 1974 bis 1981 als Direktor und Professor im Umweltbundesamt. Nachdem der Stobbe-Senat 1981 stürzte, berief ihn Richard von Weizsäcker zum Senator für Stadtentwicklung und Umwelt und schickte ihn bei einer Regierungsumbildung 1983 „gegen meinen Willen“ ins Kulturressort. Aber, Hassemer knubbert nervös an seinen Fingern, „letztlich habe ich die Kultur lieber gemacht“. Das Programm zur 750-Jahr-Feier 1987 und zur „Kulturstadt Europas“ 1988 brachte dem „Süssmuth Berlins“, wie der CDU-Modernisierer auch genannt wird, innerhalb seiner Partei allerdings weniger Beifall ein als außerhalb. Bei den Landesvorstandswahlen schnitt er am schlechtesten ab. Nach dem rot- grünen Intermezzo von 1989/90 wollte er sich die Chance nicht entgehen lassen, die Wiedervereinigung der Stadt „zu gestalten“, und wurde so unter Diepgen erneut zum obersten Stadtentwickler.
Warum ist er 1969 überhaupt bei der CDU eingetreten? Auch diese Frage kann er nur schwer beantworten. „So richtig hat sich keine Partei angeboten“, sinniert er. Letztlich wählte der katholisch erzogene Christ und „schwierige Kirchgänger“ denn doch die Christdemokraten. „Die Grünen? Völlig unmöglich wäre das nicht gewesen, aber die gab es damals noch nicht.“ Und heutzutage übergießt er sie mit mildem Spott: „Sie ergehen sich in der Optimierung des Pfluges.“
Er selbst aber, auch das ist wieder so ein Widerspruch, versteckt seinen Landgeruch hinter flammenden Plädoyers für die „verdichtete Architektur“ der modernen City. So manche seiner hochfliegenen Hochhaus-Pläne aber wurden schon durch die Bauverwaltung und deren „Überbetonung des Formalen“ durchkreuzt. Der Senator guckt an den bunten Klamotten der Besucherin herunter: „Also, Sie wären vom Senatsbaudirektor auch nicht genehmigt worden.“ Und Sie, Herr Senator, mit Ihrem karierten Wald-und- Wiesen-Jackett über grünem Hemd und grüner Krawatte? „Ich wäre wohl gerade an der Grenze.“ Ein Grenzgänger und Querkopf wird Volker Hassemer wohl bleiben, egal wie er sich und welchen Posten er künftig bekleidet. Ute Scheub
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen