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Aber da fehlt doch was!

■ betr.: „Redaktion im Visier“, taz vom 25./26. 11. 95

Aber da fehlt doch was! Die Eingriffe in die Pressefreiheit von seiten des Staates setzen früher ein und gehen weiter, als das Tagesthema an- und wahrnimmt. Meines Erachtens ist nicht nur das Einspannen von JournalistInnen in die Dienste der Ermittlungsbehörden eine 90er Strategie. Es gibt da Hinweise, daß schon die Redaktionsarbeit selbst unter die Direktive des Apparates – oder auch nur unter die Vormundschaft der Behörden – gestellt wird beziehungsweise werden soll. Und dabei muß es nicht gleich ums Ganze, also das staatliche Gewaltmonopol und dessen angebliche Bedrohung, gehen, sondern im Visier befindet sich kritische Auseinandersetzung als solche.

Wo der Eingriff früher zupackt, oder zum Beispiel Universität: Mit der Renaissance des Maulkorberlasses gegen das „Allgemeinpolitische Mandat“ ist es der Studierendenschaft beziehungsweise studentischen Gremien (Asten, Fachschaften...) per (Oberverwaltungs-)Gerichtsbeschluß untersagt, sich öffentlich zu Themen zu äußern, die nicht „spezifisch und unmittelbar hochschulbezogen“ sind. Die hirnrissige, wenn nicht anachronistische Trennung von „Hochschulpolitik“ und „Allgemeinpolitik“ im Hochschulrahmengesetz führt dazu, daß Gerichte über die Korrektheit von Artikeln zu entscheiden haben. Politischer Inhalt wird als Vergehen mit Geldbußen bis zu 500.000 DM bestraft, so daß die Kontrolle verständlicherweise schon in den Köpfen der Studierenden beginnt, als Mechanismus eingeschliffen. Es bedarf keines Zensors mehr.

Und was die weitergehenden Ausmaße der Eingriffe betrifft, sei das – von der taz inzwischen geflissentlich ausgesparte – Beispiel radikal erwähnt. Seit Jahren wird die Zeitschrift aus dem linksradikalen Untergrund mit Verfahren überzogen, seit den Hausdurchsuchungsaktionen vom 13. 6. 95 sitzen vier Männer als mutmaßliche Redaktionsmitglieder in Untersuchungshaft. Und diesmal holen Kanther & BAW weit aus und wollen nicht mehr nur, wie bisher, einzelne Artikel kriminalisieren, sondern gleich das ganze Zeitungsprojekt zur „kriminellen Vereinigung“ (nach § 3129 StGB) machen. Zwar hat sich die radikal nie auf grundgesetzliche Pressefreiheit berufen, wenn aber das unkontrollierte Produzieren und Verbreiten von Texten zum „Terror“ erklärt wird, dürfte das eigentlich auch die taz und andere Medien nicht kaltlassen. Denn gerade die unterschiedlichen Variationen von Kontrollen machen die neue Effektivität aus. [...] Jens Petz Kastner, Münster

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