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Kleists zweiter Tod – im Haushaltsloch

■ Brandenburgs Kultusminister Steffen Reiche streicht die Fördergelder für die Kleist-Ausgabe. Jetzt fordern die Heidelberger Herausgeber seinen Rücktritt

Der Vorwurf klingt harsch. Erhoben wurde er am Wochenende während einer Pressekonferenz im Berliner Literaturhaus. Der Kultusminister des Landes Brandenburg, Steffen Reiche, sei ein Lügner und solle zurücktreten, meinten die Herausgeber der Kritischen Brandenburger Kleist-Ausgabe (BKA), Roland Reuß und Peter Staengle. Es geht um Fördergelder für das Jahr 1996, die von Reiches Vorgänger, Hinrich Enderlein, verbindlich zugesagt wurden und die der neue Minister offenbar unter der Rubrik „Schnee von gestern“ abgelegt zu haben scheint.

Die BKA wird vom Land Brandenburg, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Bundesinnenministerium (BMI) gefördert; die in Heidelberg arbeitenden Herausgeber haben innerhalb kurzer Zeit 8 von geplanten 21 Bänden vorgelegt. Eine weitere Förderung macht Reiches Ministerium davon abhängig, daß die Herausgeber eigene, eingearbeitete Hilfskräfte entlassen und dafür zwei Mitarbeiter der Universität Potsdam übernehmen, um das Projekt regional anzubinden. Für Reuß und Staengle nichts anderes als ein taktisches Mannöver.

Dabei geht es lediglich um 72.000 Mark. Ein geringer Betrag für Brandenburgs Kultusminister, aber offenbar hoch genug, sich des Verdachts einer nicht ganz wahrheitsgetreuen Wiedergabe der Abläufe auszusetzen. Reuß und Staengle legten am Wochenende ihre Korrespondenz mit dem Ministerium vor, unter anderem auch einen Brief des Ministers von Anfang November. Darin schreibt Steffen Reiche an die Herausgeber: „Eine Weiterförderung des Vorhabens durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg über Mittel der projektbezogenen Forschungsförderung über 1995 hinaus ist nicht möglich.“

Fast zeitgleich läßt er indes in einer Pressemitteilung verbreiten, daß die Kleist-Ausgabe eine Brandenburger bleiben soll. Zudem habe er „in Gesprächen mit den Herausgebern eine Anbindung an die brandenburgische Wissenschafts- und Forschungslandschaft gefordert“. Eine glatte Lüge sei das, sagen die Herausgeber. Sie hätten wiederholt um ein Gespräch mit dem Minister nachgesucht, das allerdings nicht zustande gekommen sei.

Daß Brandenburgs Kultusminister am Ende doch noch aus der Deckung mußte, hängt mit dem wachsenden öffentlichen Druck zusammen, der vergangene Woche geradezu alttestamentarische Dimensionen annahm. Kein Geringerer als der Schriftsteller Günter Grass wandte sich nämlich unter Umgehung des kleinen Dienstweges direkt an Reiches Vorgesetzen, Ministerpräsident Manfred Stolpe: „Ich fordere Sie dringend auf, Ihren Einfluß geltend zu machen und sich dafür einzusetzen, daß die kulturpolitische Aufgabe des Landes Brandenburg in Sachen Kleist wieder wahrgenommen wird“, schreibt Grass in einem offenen Brief.

Am vergangenen Wochenende legte nun auch der Ost-PEN nach, wiederum in einem Brief an den Ministerpräsidenten. Man habe es „als ein ermutigendes Signal gegen den allgemeinen kulturellen Abbau wie den besonderen im Osten“ verstanden, als sich das Land Brandenburg zu einer für „solch eine Arbeit allein sinnvollen langfristigen Zusage“ entschied, heißt es. Und es sei nicht hinnehmbar, wenn das Kleistsche Werk „fast zweihundert Jahre nach dem Tod seines Schöpfers am Stolpschen Loch am Kleinen Wannsee jetzt in ein Potsdamer Haushaltsloch fallen sollte“.

Der Kommentar von Martin Gorholt, dem Leiter von Steffen Reiches Ministerbüro, ist kurz und bündig: „Wir sind nicht mehr bereit, Geld nach Heidelberg zur Herausgabe einer brandenburgischen Kleist-Ausgabe zu überweisen, und sehen keinen weiteren Handlungsbedarf.“ Jürgen Berger

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