: Schritt für Schritt zum neuen Parlament
■ Auch nach der zweiten Wahl hat Weißrußland noch keine Volksvertretung
Berlin (taz) – Weißrußland könnte einem funktionierenden Parlament einen Schritt nähergekommen sein. Bei den Nachwahlen vom Mittwoch wurden in 20 von 141 Wahlkreisen Kandidaten bereits im ersten Durchgang gewählt. Nun müssen Stichwahlen darüber entscheiden, ob in der GUS-Republik endlich eine arbeitsfähige Volksvertretung zustande kommt. Ausschlaggebend dafür ist die Wahlbeteiligung, die mindestens bei 50 Prozent liegen muß. Daran war der erste Urnengang im Mai gescheitert. Seitdem regiert der Staatspräsident faktisch allein. Doch Alexander Lukaschenko stört der Zustand nicht.
Bereits im Wahlkampf hatte der einstige Politkommissar deutlich gemacht, was demokratische Grundrechte für ihn bedeuten. Ein unabhängiger Fernsehkanal und ein Jugendradio wurden geschlossen. Zuvor hatte der Präsident durch die Absetzung von vier Chefredakteuren die Presse unter Druck gesetzt. Parteien konnten nur unter äußerst eingeschränkten Bedingungen für ihre Kandidaten werben. Zu guter Letzt rief der Präsident seine Landsleute noch zum Wahlboykott auf. Auch nach den mißglückten Wahlen bewies Lukaschenko, der auf eine Annäherung an Moskau setzt und sich das auch per Referendum bestätigen ließ, wie flexibel Verfassungs- und Gesetzesnormen gehandhabt werden können. Als im August die Gewerkschaften streikten, ließ Lukaschenko einige führende Köpfe verhaften. Mehrmals drohte er dem Verfassungsgericht die direkte Unterstellung unter die Präsidialgewalt an.
Für Aufregung in Minsk sorgte Anfang der Woche ein Interview des Präsidenten mit dem Handelsblatt. Darin bekannte Lukaschenko, daß er der Person Hitlers positive Seiten abgewinnen könne. Er gehöre zwar nicht zu dessen Anhängern, aber die von Hitler in Deutschland geschaffene Ordnung entspreche seinem Verständnis einer Präsidialrepublik. Die will Lukaschenko errichten, wenn nach den Stichwahlen wieder kein Parlament zustande kommt. Barbara Oertel
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