Lobby mit nationalistischem Touch

■ Heute gründet sich die „Türkische Gemeinde in Deutschland“. Proteste von linken türkischen Gruppen

Hamburg (taz) – Hakki Keskin ist ein Mann der leisen Töne. Bei seinen SPD-Parteigenossen haut der Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete türkischer Herkunft selbst dann nicht auf den Tisch, wenn die Fraktion die Abschiebung eines Migranten beschließt, der seit 24 Jahren in Deutschland lebt; er enthält sich der Stimme. Betreten verließ er den Raum, als auch die SPDler im Parlamentarischen Untersuchungsausschuß zum Hamburger Polizeiskandal die rassistischen Übergriffe zu bedauerlichen Einzelfällen erklärten. „Ich will nicht pessimistisch sein“, sagt er.

Hakki Keskin hat seine eigenen Strategien. Und diese Strategien heißen nicht Konfrontation. Nur mit Lobbyarbeit könne man Gleichberechtigung und schließlich auch Gleichbehandlung von MigrantInnen erreichen. Nur mit der doppelten Staatsbürgerschaft könnten Minderheiten am gesellschaftlichen und politischen Leben teilnehmen, Lehrer, Polizisten oder Mitarbeiter der Ausländerbehörde werden, glaubt er.

Zuerst gründete Keskin den Hamburger Landesverband Bündnis Türkischer Einwanderer. Und heute ist sein großer Tag. Mit dem ehrgeizigen Ziel, den Großteil der in Deutschland lebenden türkischen Bevölkerung vertreten zu wollen, gründet sich in Hamburg der Dachverband „Türkische Gemeinde in Deutschland“ – „Almanya Türk Toplumu“ (TGD). Was der 52jährige Politikprofessor der Hamburger Fachhochschule als politische Ziele formuliert, hört sich wie der Urknall deutscher Migrationspolitik an: Einwanderungs- und Staatsbürgerrecht will er grundlegend reformiert haben, ein allumfassendes Anti-Diskriminierungsprogramm – vom Strafrecht bis zum Schulunterricht – erstellen. Und das alles ohne Assimilation. „Ziel kann nicht die Aufgabe der ethnischen Identität sein“, so Keskin.

Doch was Keskin und seine Mitstreiter als „Minimalkonsens“ beschreiben – das „klare Bekenntnis zum freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat“, die „kategorische Ablehnung jeglicher Gewalt“ und „chauvinistischer Gruppen“ –, läßt viele linke Türken grausen. Sie wittern hinter dem zu gründenden Dachverband den verlängerten Arm der türkischen Regierung. „Hier wird versucht, Immigrationspolitik auf die nationale Schiene zu schieben“, ärgert sich der junge Hamburger Rechtsanwalt Mahmut Erdem. Ein Interessensverband mit dem Touch „wir Türken“ könnte „keine Stimme für alle Migranten“ sein, so Erdem, der Mitglied der Hamburger GAL ist. Auch wenn Keskin „viele richtige Punkte“ benenne, sei es letztlich eine türkisch-nationalistische Politik.

In vehementer Abgrenzung zu Keskins Einheitsgemeinde gaben linkspolitische türkische Organisationen, darunter die türkischen Sozialdemokraten (HDF) und die Grünen (Immigrün), eine Presserklärung heraus und kritisierten, daß „die relevanten und wichtigsten“ türkischen Organisationen gar nicht im Dachverband vertreten seien. „Wir erklären, daß wir nichts damit zu tun haben wollen“, heißt es dort. Der TGD spalte Türken untereinander und grenze die kurdischen Einwanderer aus. Die linke türkische Zeitung Evrenzel zitiert Keskin mit den Worten: „Nur durch diesen Weg werden die Feinde der Türkei ihre gerechte Antwort bekommen.“ Keskins Kritiker verstehen das nicht nur als Kampfansage an die deutschen Neonazis, sondern auch an Kurden und türkische Nicht-Nationalisten. Silke Mertins