: Sexy wie ein schimmernd verhülltes Mineral
■ Keusche Outfits: Eine Biographie über den japanischen Modemacher Issey Miyake
„Die Menschen sollen sich wohlfühlen.“ Das würden vermutlich die meisten westlichen Modeschöpfer anworten, wenn sie nach dem Sinn ihrer Kleider gefragt würden. Man weiß, wie das gemeint ist. „Wohl“ fühlt sich, wer gut aussieht. Und was gutaussehend ist, dafür stellt die Mode Richtlinien auf, die so streng sind wie beim Katasteramt. Weithin unbekannt ist allerdings, welche Richtlinien andere Kulturen für gutes Aussehen haben. Die Japaner zum Beispiel.
Ein wenig erfährt man darüber in Mark Holborns Buch über den japanischen Modeschöpfer Issey Miyake. Sieht man sich erst mal nur die Fotos an, ist es sehr merkwürdig festzustellen, daß es den Japanern um eines offensichtlich nie geht – und da trifft sich Miyake mit so unterschiedlichen Designern wie Kawakubo und Yamamoto – es geht nie um Sex.
Auf einem Foto sieht man ein fast nacktes Mädchen von der Seite, das sich kerzengerade wie ein Gardeoffizier hält. Sie trägt ein knielanges Kleid aus goldschimmerndem Plisseestoff, das an den Oberschenkeln und der Brust eng anliegt und über dem Bauch und dem Hintern spitz zu einer Art Pyramide ausläuft. Am Hals ragt der Ausschnitt, dem Kieferknochen folgend, spitz hoch bis hinters Ohr, die Ärmel sind so lang, daß sie die Fingerspitzen bedecken. Man könnte fast denken, jemand hätte einfach etwas Farbe über das Mädchen gehaucht; nur die beiden nach vorn und hinten abstehenden Pyramiden zeigen den fein wie ein Gespinst gewebten, durchsichtigen Plisseestoff. So weit erkennbar, besteht der Schnitt des Kleides aus acht Rhomben.
Die sexuellen Attribute Brüste, Beine und Hintern, die im Westen so unendlich wichtig sind, daß ungefähr drei Millionen verschiedene Möglichkeiten entwickelt wurden, sie zu betonen, interessieren die Japaner – so scheint es wenigstens – überhaupt nicht. Sie werden zwar nicht zwangsläufig verborgen, aber das oben beschriebene Kleid von Miyake ist, obwohl der nackte Körper des Mannequins detailliert sichtbar bleibt, eher keusch – unpersönlich. Diese merkwürdigen durchsichtigen Pyramiden über Brust und Hintern wirken auch nicht lächerlich oder grotesk (mehr eine Spezialität von Vivienne Westwood, die so westlich ist wie der Wonderbra), sie bewirken vielmehr, daß das Mädchen so aufreizend aussieht, wie ein schimmernd verhülltes Mineral. Hätten Sie gern Sex mit einem Mineral?
Miyake wurde 1938 in Hiroshima geboren. Seine Mutter erlitt bei dem Abwurf der amerikanischen Atombombe schwere Verbrennungen. Vier Jahre danach starb sie. Miyake ging nach Tokio und studierte Graphikdesign, da im Japan der 50er Jahre Modedesign als Studienfach für Männer tabu war. 1965 ging er nach Paris und arbeitete bei Guy Laroche. „Die Jahre in Paris waren als Grundlage für meine Karriere sehr wichtig, aber die Ideen von ,Schönheit‘ und Körper erschienen mir zu rigide. Diese Ideen wurden durch die Freiheiten der 68er abgelöst. Die Menschen demonstrierten draußen auf den Straßen, und ich spürte das Bedürfnis, mich an ihrem Kampf zu beteiligen. Ich hörte bei Laroche auf und trieb mich ein paar Monate herum. Mir fehlte es jedoch noch an solider Ausbildung, und deshalb fing ich bei Givenchy an, den ich sehr schätzte. Das war das Fundament meiner Arbeit.“
Etwas von diesen Erfahrungen klingt noch an, wenn er heute sagt: „Das Schlimmste in den Achtzigern war, daß die Designer zu Stars hochgespielt wurden. Design ist keine Erweiterung meines Egos. Design ist Teamarbeit.“ Miyakes Mischung aus Idealismus und Sachlichkeit hat sich auf das Schönste bewährt. So schön, daß mich beim Lesen eine leichte Griesgrämigkeit befiel. Holborns Text ist, obwohl er eine Menge Informationen bietet, streckenweise arg PR-mäßig. Auch Modeschöpfer dürften gelegentlich Schwierigkeiten mit ihrer Arbeit oder dem Publikum haben, und es ist absolut nicht einleuchtend, warum so etwas nur Platz in einer Biographie haben soll.
Alles ist so folgerichtig. Offenbar kamen sich Form und Interesse bei Miyake nie in die Quere. 1982 zeigte er Weltraumkriegerinnen mit langen Röcken aus schwarz glänzendem Stoff und Brustpanzern aus Rattan. Ingrid Sischy schrieb darüber in Artforum: „Das Outfit ist eine zeitgenössische Haut – das Oberteil ist Käfig und Harnisch in einem, Werkzeug der Verführung und Schutzobjekt zugleich.“ Der Brustpanzer war sicherlich nicht bequem, aber er verdeutlichte, wo die Trägerin stand; nämlich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Vier Jahre später befand Miyake, daß es Zeit war, von extremer Künstlichkeit zu extremer Schlichtheit zu wechseln. Denn es kamen zwar „viele Leute zum Schauen, doch nur wenige zum Tragen“.
Die Linie „Pleats Please“ verkaufte sich gut. Sie bestand aus einfachen T-Shirts, Hosen und geraden Kleidern aus leicht waschbarem Plisseestoff, den man weder bügeln noch sonstwie pfleglich behandeln muß. Das Wort funktionell verliert seinen häßlichen Beigeschmack (damit Sie noch effektiver arbeiten können!) angesichts Miyakes Sinn für geometrische Späße. So sieht man auf einem Foto einen gelben Kreis mit zwei kleinen violetten Einschnitten. Auseinandergefaltet stellt sich heraus, daß es sich um ein gelbes Kleid mit violetten Ärmeln handelt.
Während in seinem Labor immer neue Techniken entwickelt werden, um Stoffen die Strukturen zu geben, die sie nach Miyakes Vorstellungen haben sollen, werden seine Vorstellungen von Kleidern immer „biomorpher“, wie Holborn es ausdrückt. Er zerknittert Stoff, faltet ihn, knetet und dreht ihn, und unter Zuhilfenahme sämtlicher chemischer Substanzen, die je verteufelt wurden, entsteht ein Stoff, der aussieht wie eine marokkanische Geröllwüste oder wie ein Wasserfall. Im Gegensatz zu seiner westlichen Kollegin Vivienne Westwood, die von einer feudalistischen Gesellschaft träumt, in der kostspielige Traditionen bewahrt werden können, glaubt Miyake, daß nur neue Technologien Tradition bewahren können. „Es ist notwendig, daß auch in Zukunft alle und nicht nur eine kleine Anzahl Auserwählter, das traditionelle Handwerk überall auf der ganzen Welt zu schätzen wissen. Das kann man nur erreichen, indem man die Tradition mit Hilfe neuer Technik wieder modern macht. Wenn es uns nicht gelingt, die Tradition dem heutigen Lebensstil anzupassen, was Funktion und Preis betriff, dann kann es sein, daß sie ausstirbt.“ Miyake glaubt, daß es immer noch möglich ist, modern zu sein. Anja Seeliger
„Issey Miyake“, von Mark Holborn, erschienen im Taschen Verlag, Köln 1995, 39 DM
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