: Ein Eisberg treibt vorbei
Variable Größe um 1970: Die Bremer Gesellschaft für Aktuelle Kunst zeigt Öyvind Fahlströms Installationen. Eine Wiederentdeckung ■ Von Ulf Erdmann Ziegler
Daß es ihn gibt, ist so unwahrscheinlich wie sein Name: Öyvind Fahlström. Daß man ihn nach zwanzig Jahren immer noch entdecken kann, gleicht der Erfüllung eines Wunsches, von dem man gar nichts wußte. Fahlström weckt spitze nostalgische Gefühle; Erinnerungen an etwas, das nach Zukunft aussieht. Seit neunzehn Jahren död, wie die schwedischen Zeitungen damals im November meldeten, ist sein Geist ein Wiedergänger als Fragezeichen.
In Bremen, wo Fahlström mit drei wichtigen Installationen in der Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) gezeigt wird, hat man keine Mühe gescheut – die Arbeiten von 1967, 1969 und 1973 wirken fast wie neu. Die erste ist ein Pool, die zweite ein Figurenpark, die dritte ein Gewächshausstilleben. Der Pool ist blaß beleuchtet, die Figuren gleißend und die seltsamen Pflanzen im komplett grün gestrichenen letzten Raum werfen vertrackte Schatten. Obwohl die Installationen chronologisch aufgebaut sind, verschärft sich der Effekt des Zeitkanals. Wer wissen will, wie sich „um 1970“ angefühlt hat, muß sich diese Ausstellung mit Öyvind Fahlström ansehen. Abwesend: Patina.
Die persönlichste Arbeit ist der Pool, genannt „The Little General (Pinball Machine)“. Es ist ein Bassin von ein paar Metern Länge, in dem schwimmende Bilder unterwegs sind, teils bewegt von geringer Wasserzirkulation, teils vom Strom der Besucher. Sie dürfen pusten. Moshe Dayan liegt halb versteckt unter einem Tigerfell, Jackie Kennedy ist lächelnd mit Nachthemd und Kerze auf Achse, die Illustration eines Tigers hat für immer das Maul aufgerissen. Ein Eisberg treibt vorbei. Eine ballettös verrenkte Pin-up-Dame, mit nichts an als hochhackigen Schuhen, berührt von oben den Kopf des iraelischen Spions, dem Araber das Todesurteil in Form eines Plakats um den Hals gehängt haben. Ein Che- Guevara-Bild in den hispanischen Farben: Schafft zwei, drei, viele Vietnam. Eine asiatische Darstellung eines Kaiserschnitts: Der Neugeborene schaut mit den Schartenaugen des Kriegers in die Welt. Bei Lyndon B. Johnsons Profil fehlt die Nase. Sie treibt als liegendes Element im Wasser, genau wie der grün eingefärbte und exotisch erigierte Penis, den der Künstler pars pro toto als Selbstporträt ausgegeben haben soll.
Außer der beweglichen Ordnung gibt es auch eine feste: Achtzehn Plexiglaselemente sind als seitenparallele Kleinstbillboards montiert. Sie zeigen in schematischer Darstellung die Punkteskalen beim Flipper an: 250, 300, 450 ... und durchnumerierte gelbe Kugeln. Der Sprung ist weit vom Klackern und Bimmeln und Blitzen des Flipperspiels zu dem Teich von Bildern, die, auf Vinyl gezogen und metallverstärkt, in Styroporträger gesteckt ihre Kurven ziehen, bis sie sich dann doch zusammenballen, ein Bilderstau.
Auffällig ist der Verschnitt von politischen und sexuellen Motiven, die klassische Enttarnung nach Freud: Die Repräsentation verdrängt den Trieb. Etwas unauffälliger ist der Gegensatz von Animalischem und Menschlichem konstruiert, Moshe Dayan mit einem falschen jugendlichen (nackten) Oberkörper und der Tigerteppich mit dem verführerischen Leuchten des Kaufhausprospekts. Ein gelbes Schild „Ban cow slaughter“ ist an einen verbluteten Menschen montiert. Wie sehr Fahlström nach grotesker Gleichzeitigkeit von Unvereinbarem Ausschau hält, zeigt vor allem das fotografierte Genital eines Zwitters (als Kind). Fahlström hatte, wie Eva Schmidt sagt, die die Ausstellung für die GAK gemacht hat, „eine Schwäche für Mißbildungen“.
Die Mißbildung ist eigentlich die Voraussetzung für den Eintritt in Fahlströms Kabinett. Wenn das Profil mit Nase zu perfekt ist, wird sie eben weggemacht. Die wandernden Motive müssen sich zueinander ambivalent verhalten und nicht etwa in der Begegnung in Sinn ausarten. Es darf keinen Unterschied machen, ob hinter der masturbierenden Dame aus dem dänischen Nachkriegsporno ein Hindu vorbeitreibt oder ein Ghettograffito.
Gegenüber von der GAK ist das Museum Weserburg mit einem erstaunlichen kleinen Buchladen. Dort finde ich Lucy Lippards „Pop Art“-Buch von 1966. Fahlström steht hier zwischen dem Bulgaren Christo und dem in Rumänien geborenen Schweizer Daniel Spoerri. Fahlström findet Erwähnung mit seinen „variablen Gemälden“, die dann in den Installationen zu wuchernden Tableaus wurden. Einer der zentralen Begriffe der Postmoderne fällt an dieser Stelle: das Spiel. Die Spielstruktur, wird er zitiert, meine nicht Realismus, nicht Abstraktion, nicht Surrealismus und auch nicht Neo-Dada. Womit erwähnt ist, was Fahlström zuvor beschäftigt hat. Die Elemente seiner variablen Gemälde bezeichnet er als „Bild-Organe“. Fahlström hat sich nicht leicht getan mit dem offenen Kunstwerk: Die Narration sollte gebrochen werden am Zufall. Aber dann haderte er doch mit dem Cageschen „I Ging“ und verliebte sich in finite Lösungen zugunsten der Autorschaft.
Daß Pop sein Umfeld ist, sieht man im Hauptsaal. Das tief metallische Grün, Zitronengelb, Orange und Himmelblau sind einige der Farben, in denen sieben, teils extrem komplexe Figuren und Figurenkombinationen erstrahlen. Die Einfachste ist ein Leopard im Sprung, durch dessen Hals ein Auto und durch dessen Leib ein Blitz fährt. Die anderen Figuren entstammen dem Werk des kalifornischen Zeichners Robert Crumb, dieses eigenartige Universum aus verwarzten Durchschnittsmännern und bedrohlichen Mordsweibern. Selbst die Hokusai-Welle, heißt es, sei einer Adaption von Crumb nachgebildet und nicht dem japanischen Meister.
Das Ensemble ist für eine Ausstellung gemacht worden, die „Art and Technology“ hieß und um die Jahresmitte 1971 im Los Angeles County Museum gezeigt wurde. Das Konzept war, Künstler mit profilierten Firmen zusammenzubringen, und Fahlström entschied sich für die Hersteller der Schilder von „Kentucky Fried Chicken“. Sie schnitten für ihn die schwierigen Metallfiguren und stellten auch die hirngroßen Meatballs her, die (tatsächlich auf wippenden Drähten stehend) in das Ensemble herabzuregnen scheinen. Das Bizarre an seiner Übernahme der Crumb-Fabel von den Meatballs, die die Unglücklichen aus heiterem Himmel am Kopf treffen und in Glückliche verwandeln, ist, daß Fahlström die umwerfend lustige Geschichte gar nicht adaptiert. Er montiert einfach die Meatballs in eine Art Best of Robert Crumb nach dem ersten ZAP-Heft von 1967, einem Sammelband von Underground-Comics. Natürlich meint der bizarre Figurenzoo mit seinem rasenden Maßstab und seiner grotesken Verschachtelung die synthetische, verlangsamte, farbige Welt des Acid. Von Fahlström ist auch die Verwandlung des Esso-Logos in ein typographisch identisches LSD-Schild – wahrscheinlich seine bekannteste Arbeit. Nach dem Krieg hatte er zu den ersten gehört, die Lysergsäurediäthylamid einwarfen: in klinischen Tests kurz nach der Entdeckung des Stoffs.
Öyvind Fahlström ist 1928 in São Paulo als Sohn skandinavischer Eltern geboren. Im Sommer 1939 wird er nach Schweden zu Verwandten geschickt; der Krieg bricht aus. Öyvind, nun Einzelkind mit Eltern in der anderen Hemisphäre, geht zur schwedischen Schule. Erst 1947 tauchen seine Eltern auf. Er dient in der schwedischen Armee; den Außendienst in der Arktis beendet er mit einem Nervenzusammenbruch.
Fahlström ist so etwas wie ein Europäer wider Willen; Opfer des deutschen Nationalsozialismus – aber in der Luxusklasse. Er arbeitet sich durch die konkrete Poesie, das konzeptuelle Gemälde. Seine Zeichnungen in Tempera und Tinte bilden sich aus Hunderten von verschränkten Motiven: Skizzen einer Symbol-, Figuren- und Typographiekunde, die zu einem Overkill von Zeichen führt. Aber cool, dichter an Duchamp als an Klee.
Es leuchtet ein, daß Fahlström, seit 1961 in New York, nicht die Megaphonlautstärke der amerikanischen Gleichaltrigen erreicht. Sein Wunsch nach dem Ganzen entspricht nicht der Libido des Knopfdrucks, wie Pop sie forciert. Nicht zufällig mischt sich in seinen Installationen die Lektion des
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komplett erfaßten Raumes mit dem motivisch weit gefächerten Weltverweis. Fahlström arbeitet das Lexikon gegen das Wuchernde, den Index gegen die Poesie, die Recherche gegen den Traum.
Die dritte Installation in Bremen heißt „Garden – A World Model“. Sechzehn Topfpflanzen mit äußerst künstlichen Blättern/ Blüten. Sie sind in Farbfelder geteilt und mit Informationen schwarz beschriftet. Es geht um DDT, um die ökonomische Abhängigkeit der armen Länder, um Ressourcen und Technologie. Ein Blatt zum Beispiel registriert die Ersetzung von Rohstoffen durch Kunststoffe: Synthetik für Baumwolle (Illustration: ein ausgekreuztes Hemd); Pestizide anstelle natürlicher Abwehrmittel (ein ausgekreuzter Mückenschwarm); Kunstdünger für Mist (ein Komposthaufen); Detergentia für Seife (Seife). Der künstliche Ersatz von Seife, steht dort geschrieben, steigere die durchschnittlichen Gewinne von 30 auf 52 Prozent.
„Garden“, auf den ersten Blick sehr unwirklich und auf den zweiten Blick am nüchternsten, ist letztlich eine Phantasmagorie, ein unglaubliches Hybrid von Gelesenem und Erfühltem, eine Weltkarte als Zuhause. Man sieht Öyvind Fahlström im schwedischen Bett liegen, eine Winternacht 1942: „Mein rechter Arm ist Brasilien, Schweden mein linkes Ohr. Wenn ich das linke Bein anziehe, liegt China bei Palästina.“ Der Wirtschaftsteil von Dagens Nyheter schreibt die Länder so in die Tabellen, in einer ganz anderen als der topographischen Ordnung; und die Karten im Atlas, die Rohstoffe bezeichnen, kennen „keine Ländergrenzen, so wie Hitlers Armee“.
Auf Fotografien sieht Fahlström bleich aus; jemand, der sich mit einer Falte auf der Stirn zeigt, aber nach innen grinst. Als die Hippiezeit kommt, hat er einen Schnurrbart und eine Lederjacke. Seine großen dunklen Augen kriegen etwas Saugendes. Es heißt, er habe nie lustige Geschichten erzählt; die hat er seinem Werk anvertraut. Fahlström war ein Künstler für Künstler, von dem Rauschenberg sagte, bei ihm seien das Buchstäbliche und das Literarische eins. Mike Kelley hatte Fahlström als Referenten nach Chicago geholt, als Kelley noch Student war. Für den Bremer Katalog hat Kelley ihm jetzt einen gründlichen analytischen Text geschrieben, der auf Deutsch und Englisch abgedruckt ist.
Im letzten Jahr seines Lebens trennt sich Öyvind Fahlström von seiner zweiten schwedischen Frau; im Krankenhaus, als er erfährt, daß er gegen seinen Leberkrebs keine Chance hat, heiratet er Sharon Avery, die seit einiger Zeit seine Assistentin ist. Fahlström konnte nämlich schneller denken als basteln.
Sämtliche drei Installationen stammen aus dem Besitz von Sharon Avery-Fahlström. Sie hat die Arbeiten vor Ort installiert. Im Prinzip orientiert sie sich an den Installationen, die zu Lebzeiten Fahlströms aufgebaut und dokumentiert wurden. Aber sie nimmt auch Änderungen vor. So stammt von ihr die Idee, die Crumb-Figuren an Nylonfäden abzuhängen, was zur Leichtigkeit der Arbeit enorm beiträgt (vorher hatten sie an den Rückseiten recht schwerfällige Stützen).
Wie altmodisch vom fortschrittlichen Fahlström, sich eine Frau zu suchen, die ein Leben mit seinen Kunstwerken verbringt. Je stärker sich der Ruhm des Künstlers mehrt, desto ärger kommt die Erbin in Verdacht, die eigene Sache voranzutreiben. Wo sie aufbaut, weckt sie Aversionen mit ihren Forderungen, die sowohl die der Eigentümerin als auch die der Konservatorin sind. Der „Meatball Curtain (for R. Crumb)“ wird erst das vierte Mal gezeigt, die Initialausstellung in L. A. inklusive. Der Bremer Katalog ist der erste mit kompletten Nachweisen von Fahlströms Ausstellungen, seinen Zeitungsbeiträgen, seinen Filmen und den Artikeln über ihn. Sämtliche bereits veröffentlichten Schriften sind Flickenteppiche von Beiträgen, die meisten – auch das ein Merkmal seines Werks – von Fahlström selbst.
Drei DoktorandInnen arbeiten derzeit über Öyvind Fahlström. In einer Gesellschaft für aktuelle Kunst ist er richtig plaziert. Seine Lösungen wirken jetzt gar nicht mehr unruhig und offen, sondern komplex und geheimnisvoll. Irgendwie hat er es hingekriegt, das Primat des Politischen nicht zu leugnen, ohne die Universalität des Ästhetischen in Frage zu stellen.
Öyvind Fahlström in der Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Teerhof 21, Bremen, bis zum 14. Januar 1996. Danach im Kölnischen Kunstverein, vom 1. März bis zum 21. April 1996. Katalog: „Die Installationen“, mit einem Text von Mike Kelley. Dort 42 DM, im Buchhandel 58 DM. Cantz Verlag
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