: Dadaismus endet in dumpfem Turbofolk
■ Krieg der Bildschirme: Auf dem „OSTranenie“-Festival im Dessauer Bauhaus wurden Videos und Installationen von KünstlerInnen aus Ex-Jugoslawien gezeigt
Der Balkankrieg ist vorbei. Die Fernsehbilder allerdings wirken noch lange nach. So war zwangsläufig Osteuropa das zentrale Medienkunstthema des „Internationalen Video-Forums OSTranenie 95“, das im Bauhaus Dessau stattfand. Das ehemalige Jugoslawien, im Kalten Krieg ideologisch zwischen den Blöcken balancierend, stand hier als Forum im Forum paradigmatisch für das gegenwärtige, von separatistischen Bewegungen bedrohte Europa.
Wie Nationalismus eine Gesellschaft pervertiert, führte der serbische Regisseur Aleksandar Davić mit seinem Videofilm „The Last Dada Performance“ vor. Während er im ersten Teil Schnipsel avantgardistischer Filme der zwanziger Jahre montiert, begleitet von eingelesenen Zitaten damaliger jugoslawischer Dada-Künstler, zeigen die anschließenden Sequenzen die heutige serbische Realität. In Anlehnung an die satirische Rede des Chaplinschen „Großen Diktators“ erleben wir die Aufhetzung der Massen. Die anschließende Siegesfeier findet in der Kneipe „Restjugoslawien“ statt; sie illustriert mit burlesker Ironie den Triumph der Barbarei. An diesem Ort Europas ist kein Platz mehr für „Dada“, es bleibt nur der dumpfe Turbofolk einer sich auch selbst kulturell isolierenden Gesellschaft.
Welche Rolle das Fernsehen bei der Schaffung solcher nationalistischen Abgrenzungen spielt, die die Kommunikation zwischen den verfeindeten Kriegsparteien unmöglich machen, zeigt die Installation „Balkanischer Dialog“ von Balint Szombathy. Zwischen zwei sich gegenüberstehenden Fernsehern, die via Satellitenanschluß live staatliches Reality-TV aus Belgrad und Zagreb senden, befindet sich als Barriere ein doppelseitiger Spiegel, der nur die mediale Selbstbespiegelung zuläßt. Die in Kleinbürgermanier auf den Fernsehern aufgestellten Porträts Miloševićs und Tudjmans verraten, wie sehr das Publikum Diktat und Personenkult braucht. Die einstigen Zöglinge derselben titoistischen Kaderschule wußten die Lektionen unter neuen Vorzeichen anzuwenden. Unter ihrer Regie werden schließlich aus den Fernsehzuschauern Soldaten – winzige Spielzeugsoldaten aus Plastik. Täter und zugleich Opfer, denn auch die Schüsse aus ihren Gewehren wirft der Spiegel auf sie selbst zurück.
Andere Akzente setzte der in Berlin lebende Künstler László Kerekes. Seine Installation „Sonnenblumen und der Krieg“ konzentriert sich auf die Mechanismen gewaltsamer Veränderungen multinationaler Bevölkerungsstrukturen. Drei Fernseher im Hintergrund senden das Computerprogramm „Ethnische Säuberung“, schattenhafte, verschwindende menschliche Umrisse. Empfangen wird die Message von den Antennen der schon zum Völkermord bereitstehenden Staubsauger. Die Sonnenblumen bleiben ambivalent. Ohne Sonne orientierungslos geworden, drehen sie sich leer um die eigene Achse.
Das Thema „Erinnerung“ arbeitet die Zagreberin Sanja Iveković mit der Installation „Travel until the End of Thought“ auf. Entlang den Konturen eines aus Sand bestehenden fünfzackigen Sterns wandert ein Video als flüchtiges Spotlight abwechselnd Bilder eines weiblichen Körpers und eines Gletschers ab. Manchmal verirrt sich der Schweinwerfer auf seinem Weg durch die verwischte Vergangenheit: eine schwierige Spurensuche nach dem Zerfall.
Kritik an der Kriegsberichterstattung der westlichen Medien übt dagegen Vlado Zrnić mit seinem konzeptuellen Video „Meditacija“. Zrnić irritiert das Publikum durch die minutenlange Einblendung der Datumsanzeige der Videokamera: der Tag der Zerstörung Vukovars, nicht als heiße Nachricht ästhetisiert. Der Film weigert sich, seine Bilder für die die kurzlebige Vermarktung des Elends einzusetzen.
Eine der wenigen Arbeiten, die menschliche Individualität medialer Reizüberflutung gegenüberstellte, war die fein gegliederte Tanzperformance „Veronique 1“ der Berliner Künstlerin Dragana Cukavac. Veronique treibt einsam in einem Meer visueller Versatzstücke aus Werbe- und Kitschfilmen, die auf mehreren Monitoren und als Projektion (Videoregie: Monika Setter) eine entrückte Medienwelt eröffnen. Dieses Chaos verlogener Illusionen bricht sich dann mit der Einspielung eines Dokumentarfilms über das Konzentrationslager Omarska, in dem Frauen über Folter und Vergewaltigung berichten. Der konsequent folgende Versuch des selbstbestimmten Umgangs mit dem Medium aber scheitert: Die Mikrokamera, die die Performerin im zweiten Teil der Komposition an ihrer Hand befestigt, schenkt ihr nur soviel Freiheit, wie es das Kabel als künstliche Nabelschnur erlaubt.
„OSTranenie 95“ hat noch einmal gebündelt, was sich durch Kunst über das politische Drama in Ex-Jugoslawien sagen läßt. Das Bauhaus Dessau ist der richtige Ort, die Frage aufzuwerfen, was heute Medienkunst, was Experiment, was Engagement und Design ist. Die Beiträge der exjugoslawischen KünstlerInnen jedenfalls haben eine klare Antwort gesucht. Martina Panzner
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