Das Portrait: Historiker des Bocksgesangs
■ Karlheinz Weißmann
Er ist einer der rechten Kulturkämpfer, die mit ihrem Streit um die „Befreiung“ den Auftakt zum „Gedenkjahr 1995“ lieferten: Karlheinz Weißmann (36). Zusammen mit den Midlife- Jungrechten um Rainer Zitelmann unternahm er eine symbolische Umbewertungs des 8. Mai 1945, desavouierte den Antifaschismus und beklagte „Vertreibungsterror“. Jetzt sorgt Weißmann erneut für Skandal. Der niedersächsische Studienrat durfte statt des liberalen Geschichtsprofessors Hans Mommsen ausgerechnet den Band 9 der „Geschichte Deutschlands“ (Propyläen) verfassen. Darin geht es um „Deutschland unter Hitler 1933 bis 1945“. Die Herausgeber der bei der Ullstein-Tochter erschienenen Buchreihe wollen davon nichts gewußt haben. Jetzt soll dem Band eine Distanzierungserklärung beigelegt werden.
Eingefädelt hatte den Coup Ex-Ullstein-Lektor Rainer Zitelmann. Er bootete Mommsen aus, weil dieser sein Manuskript nur verspätet hätte liefern können. Statt dessen kam Weißmann zum Zuge, der unter Lektor Zitelmann seinen „Rückruf in die Geschichte“ verfaßte und an dem gesammelten Bocksgesang „Die selbstbewußte Nation“ mitschrieb. Zitelmann, jetzt Redakteur bei Springers Welt, hatte gemeinsam mit dem rechtsradikalen Verleger Herbert Fleissner für das Abdriften des Ullstein-Verlags gesorgt. Sie arbeiteten so leidenschaftlich an einer Wiederauflage der konservativen Revolution, daß es sogar dem Miteigner, dem Springer Verlag, zuviel wurde. Springer kaufte Ullstein zurück.
Karlheinz Weißmann Foto: Verlag
Das geschichtspolitische Programm von Weißmannn, der seit dem Mauerfall das Ende der „kulturellen Hegemonie“ der Linken gekommen sieht, faßte die taz 1992 so zusammen: „Nicht der Faschismus war der Unfall in der deutschen Geschichte, sondern die 40 Jahre danach.“ In dem vorliegenden Propyläen-Band bleibt Weißmann lexikalisch korrekt. Seine Prioritäten sind jedoch brutal deutlich: Den Holocaust handelt er auf zehn von 500 Seiten ab; die Verschleppung der Zwangsarbeiter auf zwölf Zeilen, die Ermoderung von 500.000 sowjetischen Juden in einer Satzklammer. Die Vertreibung der Deutschen beschreibt er hingegen mit sehr viel Einfühlungsvermögen: „Niemals zuvor hat ein Volk so hart für die Untaten gebüßt, die es beging oder die doch in seinem Namen begangen wurden.“ Philip Kahle
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