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Chef mit unwilliger Gefolgschaft

Streit um den Landeschef der jüdischen Gemeinden Niedersachsens, Michael Fürst. Ihm wird „Wahlmanipulation“ vorgeworfen, weil er Zuwanderer hat mitstimmen lassen  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Es ist eine Schlammschlacht, und sie tobt zwischen dem Landesverband der jüdischen Gemeinden Niedersachsens und den beiden Neugründungen, der hannoverschen Neuen Jüdischen Gemeinde und der Göttinger Jüdischen Gemeinde. Der Vorsitzende des Landesverbandes umgebe sich mit dubiosen Elementen und pflege undurchsichtige Finanzpraktiken, beschuldigte gestern für die hannoversche Neue Gemeinde die Anwältin Katarina Seidler ihren Anwaltskollegen und Chef des Landesverbandes, Michael Fürst. Ihre Mitstreiterin aus Göttingen, Eva Tichauer Moritz, vermutete sogar kriminelle Finanzmanipulation beim Landesverband, wollte aber Näheres nur demnächst dem zuständigen Staatsanwalt offenlegen.

Ihr Abwahlantrag gegen Michael Fürst allerdings ist am Wochenende auf der Landesdelegiertenversammlung der jüdischen Gemeinden Niedersachsens erst gar nicht auf die Tagesordnung gesetzt worden.

Der Vorstand der alten hannoverschen Jüdischen Gemeinde, der sich in seiner Gegnerschaft zu Fürst mit der halbwegs abgespaltenen „Neuen Gemeinde“ einig ist, verfügte über weniger Delegiertenstimmen als geplant: Die Stimmen abwesender Delegierter seien nicht korrekt auf die Anwesenden übertragen worden, stellte der Landesvorstand unter Michael Fürst fest. „Er hat eine selbstherrliche, arrogante Art“, bescheinigte der Nochvorsitzende der hannoverschen Jüdischen Gemeinde, Leo Kohn, daraufhin gestern seinem Landesverbandschef.

Denn mit dem Streit um die Neuwahlen in der hannoverschen, der größten niedersächischen Gemeinde, hatte die ganze Schlammschlacht vor einem guten halben Jahr begonnen. Der nicht wiedergewählte Kohn hatte Fürst Wahlmanipulationen vorgeworfen. Kohn hatte nach Hannover zugewanderten russischen Juden, die der Landesverband anerkannt hatte, das Wahlrecht abgesprochen. Der Streit um die Wahl liegt immer noch bei Gericht.

„Immer wieder wird über mich wirres Zeug verbreitet“, meinte gestern Michael Fürst. Spätestens mit dem Ende der gerichtlichen Auseinandersetzung über die Wahl sei dieser Spuk vorbei. Der neue Vorstand werde dann umgehend erneute Wahlen vorbereiten, aber vorher noch die Finanzen der alten jüdischen Gemeinde in Hannover überprüfen.

So wie die Fürst-Gegner bei einem Kostenposten des Landesverbandes in Höhe von gut 23.000 Mark Kriminelles vermuten, so will Fürst nicht einsehen, daß die hannoversche Gemeinde jährlich 20.000 Mark für Telefonkosten abrechnet. Dabei macht sowohl beim Landesverband als auch in der Gemeinde von Kohn dasselbe Steuerberatungsbüro die Buchführung.

„Von einem Schaden für das Ansehen des Judentums in Deutschland“ sprach gestern Ignatz Bubis, der sich auf den Pressekonferenzen beider Seiten in Zurückhaltung übte. Doch zumindest von den Fürst-Gegnern bekam auch der Vorsitzende des Zentralrats sein Fett: „Sie sind doch Herrn Fürst auch in anderen Bereichen geschäftlich verbunden“, so Katarina Seidler. „Mit Streit auf dieser Ebene haben Sie sich für mich disqualifiziert“, erwiderte Bubis, der in Hannover drei von insgesamt fünfzehn Grundstückskäufen von dem Notar Michael Fürst hat beglaubigen lassen.

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