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Paris steigt auf die Seine um

■ Gewerkschaften und Studenten rufen zu weiterem Aktionstag auf. Regierung setzt Busse und Boote ein

Paris (taz) – Kein Ende des Streiks in Frankreich: Während die Gewerkschaften für heute einen neuen nationalen Aktionstag ankündigten, zeigt sich die Regierung weiterhin stur. Schützenhilfe erhielt sie von Staatspräsident Jacques Chirac, der sich nach tagelangem Schweigen zu dem bislang schwersten innenpolitischen Konflikt seiner Amtszeit aus Kotonou in dem afrikanischen Staat Benin meldete. „Ich habe mich für den Weg der Reformen entschieden“, sagte er in seiner kurzen Ansprache, „das verlangt Mut und Zeit. Aber wir haben beides.“

Erstmals setzte die Regierung gestern in Paris Busse und Seine-Ausflugsboote ein, die den durch den Streik völlig zum Erliegen gekommenen Verkehr aufrechterhalten sollten. Doch den Stau rund um die Hauptstadt konnte das nicht verhindern. Die Autoschlangen erreichten eine Rekordlänge von über 600 Kilometern.

Die Diskussion über mögliche politische Folgen des Streiks, der gestern in den elften Tag ging, wird indessen immer intensiver. Unter anderem könnte der Staatspräsident eine Volksabstimmung über den umstrittenen Sparplan zur Sozialversicherung abhalten und/oder die Nationalversammlung auflösen und Neuwahlen ausschreiben. Beide Unternehmungen sind umstritten – schließlich würde die Regierung damit ihre stabile absolute Mehrheit aufs Spiel setzen. Möglicherweise wird Premierminister Alain Juppé sich dazu heute in einer Ansprache vor dem Parlament äußern.

Der Premier wird seine Rede vor dem Hintergrund einer stetig wachsenden Protestbewegung halten. Seit gestern mobilisieren auch die Lehrergewerkschaften zum Streik. Die Hafenarbeiter in Marseille legten die Arbeit nieder, erstmals blockierten Lkw-Fahrer die Hauptverkehrsstraßen in mehreren großen Städten, darunter Lyon und Grenoble. Und auch die Feuerwehr hält nur mehr einen Notdienst aufrecht. Sechs Pariser Drei-Sterne- Hotels locken staufrustrierte Pendler inzwischen mit Sonderangeboten. Eine Übernachtung soll rund 80 Mark kosten.

Auch die nationale Studentenkoordination, die größte Organisation der 2,2 Millionen französischen Studenten, rief für heute zu einem Aktionstag auf. Bei einem Runden Tisch am Sonntag abend hatte Erziehungsminister François Bayrou ihnen eine Aufstockung der Dringlichkeitshilfe an die Universitäten in Höhe von umgerechnet 100 Millionen Mark plus 2.000 zusätzliche Lehrkräfte angeboten. Die Hochschulrektoren und mehrere Studentengruppen begrüßten das Angebot, doch eine Mehrheit der studentischen Sprecher wandte sich dagegen. Mehrere Universitäten beschlossen, ihren Streik bis zu einem neuen Angebot fortzusetzen. Dorothea Hahn Seite 8

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