: Der letzte Tanz des „Wanzenballetts“
Wenn die FDP-Mitglieder sich bis zum 11. Dezember für den großen Lauschangriff entscheiden, sind die Tage der liberalen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gezählt ■ Aus Bonn Karin Nink
Eigentlich sollte die Diskussion zum großen Lauschangriff im Münsterer Handwerkszentrum eine reine Informationsveranstaltung für FDP-Mitglieder werden. Schließlich sollen sie bis zum 11.Dezember darüber entscheiden, ob sie für oder gegen das Abhören von Wohnungen sind. Doch die Spekulationen um einen Rücktritt von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger machten aus dem letzten Auftritt des „Wanzenballetts“ – so der FDP-interne Jargon – ein kleines Medienspektakel.
Als sollte eine ihrer letzten Amtshandlungen als Ministerin noch festgehalten werden, postierten sich die Fotografen wie eine Mauer vor Leutheusser-Schnarrenberger und ihrem potentiellen Nachfolger, dem parlamentarischen Geschäftsführer der FDP- Bundestagsfraktion, Jörg van Essen. Während die Mitglieder lautstark protestierten, lächelten die beiden Kontrahenten noch schnell gemeinsam in die Objektive. Als beide dann den Platz am Rednerpult wechselten, schien das schon fast Symbolik zu sein.
Doch die Liberalen aus dem Münsterland wollten nicht über Personalfragen diskutieren, sondern die Pro- und Kontra-Standpunkte zum großen Lauschangriff hören. Dies wollten auch Leutheusser und van Essen.
So stark van Essen für Wanzen in Privatwohnungen plädiert, weil er davon überzeugt ist, daß sich nur so organisierte Kriminalität wirksam bekämpfen läßt, so sehr ist Leutheusser-Schnarrenberger durch den Mitgliederentscheid endgültig zur Symbolfigur des Bürgerrechtsflügels der FDP avanciert. Mit ihrem angedrohten Rücktritt wird so die Frage nach dem Abhören von Wohnungen auch zur Identitätsfrage für die Liberalen: Bewahrt sich die Partei das kleine Fünkchen einer Bürgerrechtspartei oder verkommt sie vollends zu einer wirtschaftspolitischen Interessenvertretung?
Daß die Basis über mehr als eine Sachfrage entscheidet, signalisiert auch der Altliberale Burkhard Hirsch. Er hat angekündigt, daß er im Falle eines „Ja“ das Amt des innenpolitischen Sprechers der FDP niederlegen werde. Leutheusser-Schnarrenberger betont unentwegt: „Eine liberale Partei hat keine gesicherte Zukunft, wenn sie sich vorrangig auf wirtschaftspolitische Fragen konzentriert und die Gesellschafts- und Rechtspolitik vernachlässigt.“ Die Entscheidung über den großen Lauschangriff ist für sie eine „Gewissensentscheidung“. Schließlich würden mit dem Abhören von Wohnungen „Grundrechte aufs massivste eingeschränkt“. – Mit einem Ja zum Lauschangriff werden sich die Liberalen nicht nur von ihrer Justizministerin verabschieden, sondern auch ihrer alten Galionsfigur Hans-Dietrich Genscher endgültig einen Platz in der Parteigeschichte zuweisen. Er steht nach wie vor zu „Schnarri“ und erinnerte seine Parteikollegen erst jüngst daran, daß sie sich auf zwei Parteitagen gegen das Abhören von Privatwohnungen ausgesprochen haben. Der linksliberale Gerhart Baum will, wenn der große Lauschangriff durchgesetzt wird, endgültige Klarheit: „Dann müssen wir auf dem nächsten Parteitag in Karlsruhe eine Entscheidung darüber erzwingen, welche Richtung die FDP in Zukunft einschlagen wird. Leutheusser-Schnarrenberger ist die Symbolfigur für diese Richtungsentscheidung.“
„Bienchens“ Gegner reiben sich die Hände
Doch so sehr das kleine linksliberale Häuflein in der FDP an der wackeren Ministerin festhält, in der Fraktion reibt sich die Mehrzahl der Abgeordneten schon in heller Vorfreude die Hände. Scheiterte ein Sturz der streitbaren Ministerin auf dem Mainzer Parteitag im Juni noch kläglich, so wollen ihre Gegner sich nun ihrer entledigen. Denn „Bienchen“ ist nun mal nicht so kusch und pflegeleicht, wie das jene erwartet haben, die sie auf den Ministerstuhl hievten, um Burkhard Hirsch zu verhindern.
Deswegen ließ man sie in der Fraktion regelmäßig auflaufen. Gegen ihren Willen plädierten die Liberalen für eine Verlängerung der Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten. Nachdem ihr Entwurf zur Vergewaltigung in der Ehe im Kanzleramt gekippt worden war, wurde ihr parteiinterner Gegner Heinz Lanfermann zusammen mit dem CSU-Rechtsexperten Norbert Geis mit der Formulierung eines Kompromißpapiers beauftragt. Auch ihre Pläne zur Gleichbehandlung von Homosexuellen im Mietrecht konnte sie nicht realisieren. Doch die Zermürbungstaktik fruchtete nicht.
Auch jetzt, wo sich weder die Fraktion noch Parteivorsitzender Wolfgang Gerhardt darum bemühen, Leutheusser-Schnarrenberger von ihren Rücktrittsgedanken abzubringen, reagiert die 43jährige gelassen. Anders als ihr gleichfalls auf der Abschußliste stehender Kollege Günter Rexrodt wartet sie nicht, bis andere über ihr Schicksal bestimmen, sondern nimmt das Zepter selbst in die Hand. Außerdem ist sie nach wie vor davon überzeugt, daß ihre Rechtspolitik einen starken Rückhalt bei der Basis findet.
Gezählt nach dem Applaus in Münster, unterstützt etwa die Hälfte der Mitglieder ihre Position. Da kann ihr auch die einsame Kritik eines FDPlers nichts anhaben, der ihr eine „parteischädigende Argumentation“ vorwirft. Seine Anbiederung an van Essen: „Ich bedaure sehr, daß sie noch nicht Minister sind“, quittierte dieser mit eiserner Miene.
Doch selbst wenn er bald ins Justizministerium übersiedeln sollte, mit Leutheusser-Schnarrenberger muß die FDP so oder so weiter rechnen. „Meine Verantwortung liegt stärker in der Partei als in der Fraktion“, ließ sie jüngst verlauten. Und es wird auch nicht mehr ausgeschlossen, daß sie – und in ihrem Gefolge einige andere Liberale – die Partei verlassen. Damit könnte die vom FDP-Vorsitzenden Gerhardt vorangetriebene Mitgliederentscheidung indirekt auch das Ende der Koalition bestimmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen