Rußlands Parteien setzen auf die Frauen

Kandidatinnen sollen Stimmen bringen und Wählerinnen mobilisieren. Denn viele Russinnen haben zu Männern kein Vertrauen und daher zum Wählen keine Lust  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Als die Reihenfolge der Parteien auf den Stimmzetteln für die Duma-Wahlen am 17. Dezember ausgelost wurde, war Fortuna den „Frauen Rußlands“ gnädig: Die Partei unter Jekaterina Lachowa wird an erster Stelle stehen. „Früher wurde unser Frauen-Wahlblock von den männlichen Journalisten verschwiegen“, sagt Swetlana Gromowa. „Jetzt boykottieren sie uns offen.“ Swetlana bereitet in Moskau Frauen auf Führungspositionen vor. Außerdem hat sie diversen politischen Gruppen nahegelegt, sich der Frauen- Interessen anzunehmen und nach Parlamentskandidatinnen gesucht. Der Erfolg der „Frauen Rußlands“ war eine der großen Überraschungen bei den Wahlen im Dezember 1993. Mühelos erreichten sie landesweit 8 Prozent – in manchen Regionen sogar 20 Prozent. In der Duma stellen sie 13 Prozent der Abgeordneten. „Das Volk vertraut den Frauen“, sagt Swetlana. „1993 war nur der Anfang. Inzwischen schätzen alle Parteien den weiblichen Faktor. Je näher die Wahlen – desto fieberhafter kramen sie ihre Frauen hervor.“

Parteien, wie „Jabloko“ oder die Bauernpartei, die früher von Kandidatinnen weder träumen konnten noch wollten, präsentieren jetzt Frauen auf aussichtsreichen Listenplätzen. Auch wenn sie in den Wahlspots kaum vorkommen, sind diese Damen unter den Abgeordneten reichlich vertreten, die sich und ihre Gruppierungen allabendlich auf der Mattscheibe vorstellen dürfen. Außer Jekaterina Lachowa gibt es noch zwei Frauen an der Spitze von Wählervereinigungen. Nach einer von ihnen, Ella Pamfilowna, hat sich deren Block sogar benannt. Als Sozialministerin trat sie aus Protest gegen die Lage der Benachteiligten zurück. Ihr hübsches Mopsgesicht gilt seitdem in Rußland als Wahrzeichen für Gerechtigkeit. Die Partei hat aber kaum eine Chance, über die Fünfprozenthürde zu hüpfen. Gleiches gilt für den Wahlblock von Irina Hakamada, eines Finanz- und Handelsgenies. Die Mitbegründerin der Moskauer Waren- und Rohstoffbörse ist reich und elegant. Ihre Gruppierung „Gemeinsame Sache“ fordert unter anderem ein Hausfrauengehalt.

„Nicht gerade sehr emanzipatorisch!“ schimpft Katja, eine in Frauenfragen engagierte Journalistin. „Das paßt ganz in den neurussischen Trend, die Frau an den Herd abzuschieben.“ Und auch für die „Frauen- Rußlands“ hält sie Kritik bereit: „Die machen ganz auf Mütter-Clan. Sie halten sich strikt an die russische Tradition, derzufolge die Frau ihre Autorität einzig und allein aus ihrem Muttertum schöpfen kann. Immer reden sie von Notwendigkeit, die Familie zu stärken. Ich frage mich, was frau da stärken soll, wenn die meisten Familien zerrüttet sind. Ein Drittel aller RussInnen im gebärfähigen Alter sind alleinstehend, ein weiteres Drittel erzieht die Kinder alleine.“

Nach einer Untersuchung des Institutes für sozialpolitische Forschung der Akademie der Wissenschaften fürchteten 43 Prozent aller Russinnen im letzten Jahr um ihr Auskommen. 36 Prozent geben an, ständig in Furcht vor der Zukunft zu leben, 18 Prozent halten all ihre Pläne und Hoffnungen für gescheitert. Kein Wunder, daß viel mehr Frauen als Männer bei den letzten Umfragen erklärten, überhaupt nicht zur Wahl gehen zu wollen, weil sie keinem Politiker vertrauen. Jeglicher Extremismus liegt den Russinnen fern. Die Kommunisten haben unter ihnen wenig Anhängerinnen und Schirinowskis nationalistische Partei kann frau getrost als reinen Männerverein betrachten. Auf der Suche nach Stabilität und Kontinuität flüchten sich die Russinnen scharenweise unter das Dach von „Unserem Haus Rußland“, der Partei Tschernomyrdins. „Da spielt noch etwas eine Rolle“, meint die Frauen-Image-Makerin Swetlana Gromowa. „Obwohl Tschernomyrdins Partei keine Vorzeigefrau hat, ist er selbst vorzeigbar. Dabei wirkt er solide und streng – eine ideale Vaterfigur.“ Swetlana blickt in die Zukunft: „Ich kenne viele Frauen, die politisch aktiver werden wollen. Rußland hat die dummen Männer satt und wendet sich den weiblichen Führungsgestalten zu. Eine Kandidatin für die Präsidentenwahlen wird es geben. Wahrscheinlich kann sie in diesem Jahrhundert nicht gewinnen. Aber im nächsten...“