Krieg, Erotik und Mythos

■ Vortrag von Ivan Colovic im Institut für Sozialforschung

Ist eine internationale Debatte zum Balkankrieg ohne Selbstbezug – „Eingreifen oder nicht?“ – und ohne Betroffenheits-Attitüde möglich? Das Hamburger Institut für Sozialforschung wagt den Versuch. Mit der Vortragsreihe Ethnisierung der Politik – Politik der Ethnizität will es die reine kritisch-intellektuelle Beschäftigung mit dem Thema fördern.

Den zweiten Vortrag der Reihe hielt am Donnerstag der Serbe Ivan Colovic, Ethnologe und Mitglied des oppositionellen „Belgrader Kreises“. Er las aus seinem Essay-Band Bordell der Krieger – Folklore, Politik und Krieg, in dem er sich insbesondere der Indienstnahme der Volkskultur durch die Staatsmacht widmet. Als Forschungsgrundlage untersuchte er unter anderem über tausend Lieder, die jugoslawische Werbe- und Pressesprache und die populäre Literatur, wie sie kurz vor Beginn des Krieges verbreitet waren.

Es gelingt Colovic, anschaulich darzustellen, wie Politiker den Menschen beeinflussen, indem sie zum Beispiel die Erotik in den Dienst des Staates stellen. So werden Volkstraditionen in der Weise funktionalisiert, daß sie Krieger als besonders sexy erscheinen lassen oder aber den Soldaten als unschuldiges Kind im Kampf für die Heimat-Mutter darstellen. Ähnlich ist es mit der zerstörerischen Aggressivität, die für Colovic immer latent vorhanden ist und durch legitimierende Mythen aktiviert wird.

Das Publikum beteiligte sich rege am Gespräch, wollte aber nicht nur intellektuellen Ansprüchen gerecht werden, sondern auch emotional diskutieren und Handlungsanweisungen mitnehmen. So zeigt sich: Eine öffentliche Debatte unter Ausschluß von Gefühlen und persönlich erlebter Geschichte ist gerade in diesem Fall kaum möglich. Trotzdem oder gerade deshalb lohnt sich ein Besuch beim nächsten Vortrag am 11. Januar bestimmt.

Nele-Marie Brüdgam