piwik no script img

Die eiskalten Augen des Erich Priebke

Vor dem Militärgericht in Rom begann am Donnerstag das Vorverfahren im Kriegsverbrecherprozeß gegen den ehemaligen SS-Mann – unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Die Nachfahren der Opfer blieben vor der Tür  ■ Aus Rom Werner Raith

Das Schild, das Nelly hochhält, ist so klein, daß man es schon aus drei, vier Meter Entfernung kaum mehr lesen kann: „Priebke, wie sah mein Großvater aus, als du ihn erschossest?“ Nelly, 20jährige Soziologiestudentin, wartet mit gut vierhundert anderen vor dem Militärgericht in Rom, wo die Vorverhandlung gegen den ehemaligen SS-Hauptsturmführer Erich Priebke eröffnet wird. Die da an diesem Donnerstag stehen, sind Nachfahren und Verwandte jener Menschen, die vor mittlerweile 51 Jahren von einem SS-Kommando unter Heinrich Kappler in den Ardeatinischen Gräben erschossen wurden – als Repressalie für den Anschlag italienischer Partisanen auf einen Zug deutscher Soldaten und faschistischer Polizisten.

Die Winzigkeit des Schildes hat geradezu symbolischen Charakter: Keine aufgewühlte, rachelüsterne Menge ist das, sondern eine Anzahl eher verschüchterter einzelner, die trotz des gemeinsamen Schicksals ihrer Eltern oder Großeltern nur wenig Kontakt zueinander finden.

„Ordnungsgemäß“ Menschen erschossen

Ihr Ziel scheint weder das Verfahren selbst noch das Urteil, das aus der Anklage wegen Kriegsverbrechen entstehen könnte. Sie wollen vor allem eines: den Mann sehen, der nicht nur ohne jegliche Regung Gefangene gefoltert haben soll und ungerührt aus nächster Nähe auf wehrlose, am Krieg völlig unbeteiligte, gefesselte Menschen geschossen hat (wie er selbst zugibt), sondern der auch heute noch ohne geringste Einsicht erklärt, alles sei „ordnungsgemäß“ verlaufen, es habe einen Führerbefehl gegeben, und den habe man ausgeführt, basta.

„Er könnte doch wenigstens sagen, daß ihm das alles leid tut, daß er den Schmerz der Menschen versteht“, sagt Achille, dessen Vater aus dem Gefängniskrankenhaus herausgeholt und erschossen wurde, als Achille noch in den Windeln lag. „Aber da ist nichts.“ Achille möchte nur eines sehen – „seine Augen, die Augen eines Menschen, der töten kann, ohne zu fragen, warum“.

In der Tat – Priebkes Augen scheinen eine Art Hauptanliegen aller Italiener zu sein. Kein Fernsehbericht, keine Zeitungsreportage, in der nicht die „gefühllosen, eiskalten blauen Augen des SS“ angeführt werden. Richtig gesehen hat sie noch kaum jemand, nur aus dem Fernsehen sind sie bekannt, und da sieht man sie meist nicht sonderlich gut, weil der Mann kaum einmal in die Kamera guckt und außerdem das Alter die Sehschlitze schon ziemlich verengt hat.

Als gegen halb neun mehrere Polizeifahrzeuge eintreffen und Hubschrauber über der Stadt patrouillieren, kommt etwas Bewegung in die Menschen vor dem „Tribunale militare“; doch der Wagen, der Priebke bringt, ist ein regelrechter Häftlingsverschieber mit so kleinen Fenstern im tiefblauen Blech, daß man nichts sieht. Journalisten dürfen ebenso wie Privatpersonen nicht in den Gerichtssaal – alles bleibt hinter verschlossenen Türen, Öffentlichkeit sieht das Militärstrafrecht nicht vor.

Wie überhaupt das Militärstrafrecht zum Hemmschuh der gesamten Verhandlung zu werden droht. Zwar wurde das Verfahren 1988 zusammen mit der Umgestaltung des gesamten Strafrechts verändert, sodaß auch hier vor der Prozeßeröffnung erst ein „giudice per gli indagini preliminari“, ein Voruntersuchungsrichter, über die Zulässigkeit des Verfahrens entscheiden muß (in Deutschland ist hierfür das später auch erkennende Gericht zuständig). Doch daß Demokratie auch Transparenz und Öffentlichkeit bedeutet, wurde im Militärstrafrecht – zumindest für die Friedenszeiten – vergessen. Und so gehen die ersten Kämpfe in der Voruntersuchung denn auch um Dinge, an die früher keiner gedacht hat – so etwa um die Zulassung von Nebenklägern, die im Militärprozeß nicht vorgesehen sind. Der Richter im Falle Priebke wird sich daher an das Verfassungsgericht wenden und nachfragen, ob im speziellen Falle so etwas doch möglich ist. Dafür wird die Verhandlung nach vier Stunden vertagt werden.

Draußen stehen die Menschen noch immer schweigend; auch als Priebke schon längst drinnen ist, hängen sie hier ihren Gedanken nach. Nelly hält das Schild noch höher als vorher. „Was soll ich machen“, sagt sie tonlos, „ich weiß nicht einmal, wie mein Großvater ausgesehen hat, wir haben kein Bild mehr von ihm, es ist alles bei einem Bombardement bei Pontinia verbrannt.“

Ein Verteidiger kommt aus dem Gerichtssaal. Er hebt die Schultern. „Ein unglaublicher Mann“, sagt er, „vollkommen verschlossen in sich. Er macht einem angst, wenn er den Mund auftut. Man hört förmlich jenes ,Hallo‘, das noch lange nach dem Krieg zum Unwort wurde, weil uns die Offiziere so zu sich herangeholt haben. Und meist gab es dann nicht viel Schönes zu erleben.“

Achille hat ein Bild von seinem Vater, der gleich zu Kriegsbeginn verletzt wurde und der in der Heimat gehofft hatte, den Krieg zu überstehen. Drei seiner Brüder wollen sich als Nebenkläger melden, aber nur einer glaubt, daß „da wirklich was dabei herauskommt“. Persönlich erscheinen können alle drei nicht, sie sind schon an die Achtzig. Aber sie haben ein Transparent gemalt, auf dem mit krakeliger Schrift zu lesen ist: „Priebke, wir verzeihen dir. Aber weißt du überhaupt, was das ist, Verzeihung?“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen