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Letzte Relikte einer Häutung

Die Südwestdeutsche Landesbank Stuttgart zeigt Skulpturen zum Thema „Europa – Ostasien“  ■ Von Gabriele Hoffmann

Der Gedanke, daß Kunst für den politischen und wirtschaftlichen Dialog eine Brückenfunktion besitzt, ist für Wirtschaftsleute ganz selbstverständlich. Im Kunstbetrieb braucht es dagegen oft eines besonderen Anstoßes, etwa der drastischen Kürzung finanzieller Mittel, um zu neuen Ausstellungskonzeptionen zu kommen. Der Triennale der Kleinplastik, die vor 15 Jahren im schwäbischen Fellbach als „Kleinplastik aus Deutschland“ bescheiden angefangen hatte, wurden vom örtlichen Gemeinderat die Mittel gestrichen. Daraufhin sah sich Fellbachs Oberbürgermeister Friedrich-Wilhelm Kiel nach einem neuen Standort für „sein“ Projekt um. Schließlich zeigte die Südwestdeutsche Landesbank in Stuttgart Interesse und bot zusätzlich zur Finanzspritze das „Forum“ im neu erbauten Bankgebäude am Hauptbahnhof als Ausstellungsort an.

„Europa – Ostasien“, das diesjährige Thema der Triennale, ist so maßgeschneidert für die Zusammenarbeit von Kunst und Kommerz wie die Ausstellungsarchitektur, die 250 Kleinplastiken von 92 KünstlerInnen im nicht gerade kleinmaßstäblichen Bankgebäude angemessen Raum gibt. Kurator Lóránd Hegyi, Leiter des Museums Moderner Kunst Stiftung Ludwig in Wien, war sich bewußt, daß der „globale“ Blick auf Kleinplastik zur Groteske werden kann, wenn man dem kunstgeschichtlichen Terminus technicus treu bleiben will. Und so gab er der Vorschrift „klein“ eine zeitgemäße, auf Inhalte bezogene Fassung. Viele Künstler aus den ostasiatischen Ländern und vor allem Frauen – sie sind ungewöhnlich stark vertreten – kommen einer Neuinterpretation entgegen mit Arbeiten, die das Antimonumentale und Antiheroische, das Fragile und Unabgeschlossene betonen.

Im Erdgeschoß wird der Besucher durch die Vielschichtigkeit der Themen „Körper“ und „Natur“ geführt. Der in Amsterdam lebende Engländer Thom Puckey hat seine „Lyrische Skulptur“ aus weißem Silikon auf einen hohen, roten Sockel gestellt. An einer männlichen Figur, die ihren abgeschlagenen Kopf auf der Schulter balanciert, machen sich zwei Geisterhände zu schaffen. Sie ziehen den aufgerissenen Oberkörper wie einen Vorhang auseinander, damit man in die Höhlung schauen kann, aus der die Stoffe quellen.

Puckey war, bevor er zur Bildhauerei übertrat, als Performancekünstler bekannt geworden, der fast immer zusammen mit Dirk Larsen auftrat. Die Gebärdensprache hat er sich bei seinen Skulpturen bewahrt, wie dieses Antimonument zeigt. Es steht in Blickkontakt mit dem nicht weniger ironischen „Portrait eines Afrikaners“, das der in New York lebende Taiwaner Chen Long-Bin aus einem Zeitschriftengebirge herausgeschnitten hat, Zitat gigantischer, aus dem Feld gehauener Herrscherporträts. Zwischen beiden Figuren in der Raummitte eine Installation der rumänischen Künstlerin Ana Lupas: ein auf brutale Weise nackt an Drähten ausgespanntes gerupftes Hühnchen. Bei Mio Shirai liegen neun winzige Figuren aus Papiermaché um eine Kleenex-Schachtel herum, hingestreckt wie die Opfer eines Attentats. In ihrer Farblosigkeit sind die fein modellierten Figürchen Protagonisten eines zum Alltag gewordenen Gewaltszenarios. Soo-Ja Kims Installation besteht aus Kleidersäcken, die in leuchtend bunten Farben verstreut auf dem Boden liegen. Damit erinnert die in Seoul lebende Künstlerin, die in diesem Jahr an der New Yorker Ausstellung „Division of Labor – Women's Work in Contemporary Art“ teilgenommen hat, an die körperliche Schwerstarbeit von Frauen, die in Korea Lasten tragen.

Die Abwesenheit des Körpers ist in der Gegenwartskunst in Ost und West, mit der immer größer werdenden Möglichkeit, die körperliche Anwesenheit durch Medien zu ersetzen, kein seltenes Thema. Ein einzelnes Paar Füße, Abformungen in traditionellem koreanischem Papier, wirkt wie das Relikt einer Häutung. Der Koreaner Myung-Seop Hong, der seine Skulptur „De-Titled“ nennt, spielt mit seinen zerbrechlichen, hauchdünnen Papierarbeiten auf ein wohlbekanntes Phänomen der Kunstgeschichte an: das Paradox, daß bei größtmöglicher Annäherung ans Original dieses selbst sich verflüchtigt. Den papiernen Füßen fehlt jede Lebensechtheit, ihre Wirkung liegt in der perfekten Künstlichkeit.

Die in Berlin lebende Chinesin Quin Yufen nutzt die Abwesenheit des Körpers unter anderen Aspekten. Sie macht zwei chinesische Seidenjacken, die auf Bügeln an der Wand hängen, dadurch lebendig, indem sie ihnen Lautsprecher mit sehr leisen Klängen aus der Pekingoper implantiert. Schon bei ihrer Installation im Rahmen von „Leiblicher Logos“ hatte Yufen mit Musik aus der Pekingoper das traditionelle chinesische Rollenverhalten der Frau thematisiert.

Wer sich von der Blickachsenkonzeption der Ausstellung führen läßt, wird bemerken, daß die akustischen Signale aus Peking mit den Lichtsignalen der drei „Torsi“ von Patrick Raynaud korrespondieren. Mit einem dreifachen gläsernen Brustkorb als Arrangement aus Neonröhren hinter Windschutzscheiben von Motorrädern, wird die materielle Existenz gegen die „spirituelle Form der Existenz“ ausgetauscht. Raynauds Metaphern für Todessehnsucht haben immer einen makabren Zug. So auch jüngst in einer Installation auf dem Campus der Universität in Bursa (Türkei), wo ein gläsernes Doppelgrab mit Neongebein die MensabesucherInnen zwang, „über Leichen zu gehen“.

Am deutlichsten kann man in der Stuttgarter Ausstellung beim Thema „Natur“ die europäischen von asiatischen Bildsprachen unterscheiden. Das hängt natürlich mit Hegys gezieltem Interesse an Themen zusammen, nach denen er Künstler und Künsterinnen in Ost und West ausgewählt hat. Das heißt, es ließen sich auch ganz andere Oppositionen bei einer Ausstellung „Europa – Ostasien“ vorstellen. Stellvertretend für das europäische umweltbewußte künstlerische Engagement für die Natur soll die ganz unpathetische Arbeit aus Federn und Altöl von Marja Kanervo (Finnland) genannt sein. Leicht geht man an den beiden aufeinandergesetzten Rollen aus Computeraltpapier vorbei, über die blutrote Farbe gelaufen ist.

Besondes groß ist die Zahl der KünstlerInnen, die sich unter dem Stichwort „Artefakte“ zusammengefunden haben und naturverbessernden Ersatz anbieten: Maschinen, Roboter, Prothesen und Möbel. Dazu Utopien, die ihre avantgardistischen Vorbilder ironisch zitieren. Wu Mali (Taiwan) bedient sich bei seinem Angriff auf den Kunstzusammenhang eines 28 Zentimeter großen Spielzeugbaggers, der von einer Konsole aus die Galeriewand annagt und bereits ein gutes Stück Abschürfarbeit geleistet hat.

Die 6. Kleinplastik-Triennale in der Stuttgarter Südwestdeutschen Landesbank richtet ihre Aufmerksamkeit auf den Kunstdialog zwischen KünstlerInnen aus Europa und den hochindustrialisierten Ländern Ostasiens. Ohne zu zögern wird da auf Seiten der Ausstellungsmacher und der Bank von der neuen „globalen“ Dimension des Unternehmens gesprochen. Allerdings setzt schon der Ausstellungstitel das alte Denken in den Kategorien von Zentrum und Peripherie fort. Andere ostasiatische Staaten und ein ganzer Kontinent, nämlich Afrika, sind längst abgedriftet in ein Jenseits der Peripherie. Solcherlei „Exotik“ aber wollte man bei der Veranstaltung nicht zulassen.

Bis 14. Januar 1996. Der Katalog kostet 45 DM.

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