piwik no script img

■ Das PortraitDer Anti-Nationalist

Der Bürgermeister der ostbosnischen Stadt Tuzla gilt in seiner Heimatstadt als Symbol für das friedliche Zusammenleben der Nationen in Bosnien-Herzegowina. Der Menschenrechtspreis der Stadt Weimar, den er am vergangenen Sonntag erhalten hat, zeigt an, daß seine politische Haltung nun über die Grenzen Bosniens hinaus anerkannt wird. Šelim Beslagić hat der Versuchung widerstanden, in die Kategorien des Nationalismus zu verfallen. Er hat trotz der langen serbischen Belagerung an dem alten bosnischen Geist, an dem Gebot der Toleranz im Zusammenleben unterschiedlicher Nationen, festgehalten.

Der am 23. Februar 1942 in Tuzla geborene Beslagić wandte sich erst 1990 der Politik zu. Vorher war Beslagić, der an den Universitäten von Tuzla und Zagreb zu einem Spezialisten für Metallurgie und Baumaterialien ausgebildet wurde, als Ingenieur tätig. Beslagić engagierte sich in der Reformpartei des ehemaligen jugoslawischen Ministerpräsidenten Marković. Er hoffte damals, die nationalen Spannungen vermindern und den Krieg verhindern zu können.

Ihm und seinen Mitstreitern gelang es immerhin, nach den Gemeindewahlen im Herbst 1990 in Tuzla eine Koalition der nichtnationalistischen Parteien aus Exkommunisten, Reformisten, Liberalen und Sozialdemokraten zu zimmern, sehr zum Mißfallen der nationalistischen Parteien. Von seinen Gegnern, so auch der muslimisch-nationalistischen Partei SDA, wird Beslagić auch heute noch als „Jugonostalgiker“ und „Kommunist“ diffamiert.

Dennoch wird seine Leistung auch von seinen Gegnern anerkannt. Denn Beslagić hat sich in diesem Krieg Šelim Beslagić, Bürgermeister von TuzlaFoto: Erich Rathfelder

keineswegs neutral verhalten. Nicht zuletzt seinem Organisationstalent ist es zu verdanken, daß die Bevölkerung von Tuzla die serbische Belagerung in den Hungerwintern 92/93 und 93/94 überstand. Beslagić sorgte für eine gerechte Verteilung der wenigen Hilfsgüter und Ressourcen unter den 50.000 Flüchtlingen und 110.000 Einwohnern der Stadt. Dies schloß die Gleichbehandlung von Muslimen, Serben und Kroaten ein. Mit dem Respekt und dem Rückhalt, den er sich dabei in der Bevölkerung erworben hat, wurde er zum Sprecher der Opposition gegenüber den nationalistischen Tendenzen in der bosnischen Regierung in Sarajevo. Šelim Beslagić ist auf seine Weise zu einem der Helden in diesem Krieg geworden. Erich Rathfelder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen