■ Querspalte: Opfer, bitte melde dich!
Die mediale Wirklichkeit ist schlecht eingerichtet. Anstatt die Guten durch Repräsentation zu belohnen und die Schlechten zu ignorieren, ist es genau umgekehrt: Tagaus, tagein flimmern PDS- Bösewichter über die Mattscheibe. Die Opfer des verbrecherischen DDR-Regimes dagegen, ehemalige DDR-Häftlinge, schauen in die Röhre. Deshalb haben sie sich nun beim ARD-Intendanten beschwert: „Es kann nicht angehen, daß die SED-Nachfolgepartei häufiger in der ARD präsent ist als bedeutend größere Gruppen“, heißt es in dem Brief.
Ein Protest, der in seiner Nebulösität etwas seltsam anmutet und von einem schon fast rührend-materialistischen Medienweltverständnis zeugt. Die Opfer sagen, daß ihre Gruppe größer sei als die Gruppe der finsteren Täter, die sie in der PDS organisiert sehen, und deshalb sei es also eine Gemeinheit, daß ständig Gregor Gysi dämonisch aus dem Fernseher grinst und nicht die Opfer des verbrecherischen SED-Regimes. Wenn sie genauso dämonisch grinsen würden, sollte man sie auch so oft lassen.
Irgendwie erinnert das an taz-Diskussionen, in denen es darum ging, wie fies es doch sei, daß sich lediglich fünf Kommentare gegen, aber sieben für den Golfkrieg ausgesprochen hätten. Wer Spaß daran hat, kann ja zählen, wie viele Menschen sich durch die PDS vertreten fühlen und wie hoch die Zahl der Opfer ist. Außerdem: In meinem Fernseher sind immer Gottschalk oder Harald Schmidt oder Boris Becker oder Werbemaßnahmen zu sehen.
Die Stalinisierung der ARD läßt arg zu wünschen übrig. Andere Vereine als die Opfervereine, etwa Schalke 04, könnten übrigens mit dem gleichen Argument auch eine weitergehende Berücksichtigung in Nachrichtensendungen fordern. Das würde wenigstens den Unterhaltungswert erhöhen. Obwohl es selbst Schalke schwer hätte, wenn sich Fred Kogel zu einer Opfershow mit Bärbel Bohley, Wolf Biermann und Lutz Rathenow auf Sat.1 durchringen könnte. Opfer, bitte melde dich! Detlef Kuhlbrodt
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