■ Frankreich spielt in Bosnien wieder einmal eine Sonderrolle: Gute Vorlage für Karadžić
Gebeutelt ist der französische Präsident Jacques Chirac schon nach wenigen Monaten Amtszeit. Er muß deswegen jedoch niemandem leid tun. Seine Mischung aus Arroganz und Machtgehabe, die in der Südsee so fürchterliche Konsequenzen hat, ist jetzt selbst den Franzosen zuviel geworden. Daß die Stärke eines Präsidenten nicht mehr in den Kategorien der fünfziger Jahre gemessen wird, wird ihm unverblümt durch die Streikenden gezeigt. Das hindert den Gaullisten aber nicht daran, sich auch in anderen sensiblen Bereichen der Politik wie ein Elefant im Porzellanladen zu bewegen. Das Ultimatum an die bosnischen Serben, endlich über das Schicksal der beiden französischen Piloten Auskunft zu geben, kann nur in eine Niederlage und zu internationalen Verwicklungen führen. Wer ein Ultimatum stellt, muß auch dafür sorgen, daß nach dessen Ablauf Konsequenzen gezogen werden. Chirac hat dies nicht getan und sich selbst damit in Bosnien zum Gespött gemacht.
Karadžić ist ein Kriegsverbrecher, aber kein Dummkopf. Er hat in den letzten Jahren besser als andere gelernt, wie man mit Politikern aus dem Westen umspringen kann. Er hat gelernt, wie Widersprüche erzeugt und Sprengsätze an internationale Organisationen gelegt werden, er weiß, wie die internationale Gemeinschaft zu spalten ist. Der Ball, den Chirac ihn zugeworfen hat, hat er clever aufgefangen. Der Preis für die Information über das Schicksal der Piloten oder gar ihre Freilassung wird nun von ihm festgelegt: seine Teilnahme an der Unterzeichnung des Daytoner Abkommens in – wie süffisant – Paris.
Oder ist da gar ein Doppelspiel im Gange? Hat der Franzose Karadžić diesen Ausweg gelassen, um Konflikte der serbischen Nationalisten mit den französischen Nato-Truppen, die vor allem in serbisch besetzten Gebieten agieren werden, von vornherein abzumildern? In der Balkan-Politik ist nichts unmöglich. So oder so – Frankreich ist wieder einmal von der festgeschriebenen Nato-Linie abgewichen und hat vor allem den USA Probleme bereitet. Das mag manche klammheimlich freuen, der Durchsetzung des nun fast unterschriebenen Friedensplans dient dies nicht. Und den französischen Piloten hilft es auch nicht.
Die französische Öffentlichkeit sollte überlegen, ob der wenig hinterfragte Wunsch nach einer Sonderrolle der Grande Nation die Exzentrik ihres Präsidenten nicht erst möglich macht. Wie wäre es denn einmal damit, in Ruhe und Gelassenheit den Kompromiß von Dayton gemeinsam mit den Verbündeten durchzusetzen? Erich Rathfelder
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