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Entwaffnung kommt nicht in Frage

■ In Nordirland hat sich trotz Clintons gefeiertem Besuch nichts geändert

Dublin (taz) – Anthony Lake ist zufrieden. „Für uns hat die Erntezeit in Bosnien und Nordirland fast gleichzeitig begonnen“, sagte der Sicherheitsberater von US-Präsident Bill Clinton am Wochenende. „Wir haben die Saat ausgesät und bewässert, und die Früchte wuchsen.“ Lake ist der Meinung, daß der Clinton-Besuch vor anderthalb Wochen „die Gleichung in Nordirland grundlegend verändert“ habe: Der Schwarze Peter stecke jetzt bei denjenigen, die jeden Kompromiß ablehnten. Der Hauptgrund für den Erfolg der Clinton-Reise war die „hervorragende Choreographie, die den dritten Akt jeder Mozart-Oper als Kinderspiel erscheinen“ lasse, sagte Lake.

Die nordirische Operette kommt einem jedoch bekannt vor: Das Flugzeug mit Clinton an Bord hatte kaum von der Startbahn in Irland abgehoben, als unten bereits wieder alles beim alten war. Die britische Regierung sprach abermals von der Ausmusterung der IRA-Waffen als Vorbedingung für Allparteiengespräche, die IRA bezeichnete das als „lächerliche Forderung“. Darin ist sie sich mit den ebenfalls bis an die Zähne bewaffneten protestantischen Paramilitärs einig: Eine Entwaffnung, tönte ihr Sprecher David Ervine, komme nicht in Frage.

Und schon taucht das nächste Hindernis auf. Der britische Premierminister John Major verlangt von der internationalen Kommission eine Liste aller IRA-Waffen. Zu diesem Zweck hat man dem Leiter der Kommission, Ex-US- Senator George Mitchell, Schätzungen der britischen Geheimdienste übermittelt. Er soll sie nun mit Hilfe des politischen Flügels der IRA, Sinn Féin, abgleichen – eine Vorstellung, die bei Sinn Féin Kopfschütteln ausgelöst hat.

Inzwischen ist durchgesickert, daß die irische Regierung starke Bedenken gegen die Zusammensetzung der Kommission angemeldet hat. Neben Mitchell gehören ihr der frühere finnische Premierminister Harri Holkeri sowie der kanadische General John de Chastelain an. Dessen Eltern waren im Zweiten Weltkrieg hochrangige Offiziere des britischen Geheimdienstes MI-6. Diese Tatsache, so befürchtet man in Dublin, könnte von Sinn Féin und IRA als Parteilichkeit gesehen werden, zumal die Kommission in den kommenden Wochen auch Kontakt zu den Geheimdiensten aufnehmen wird.

Wie weit man von einem Durchbruch entfernt ist, zeigte die Reaktion des Unionisten-Chefs David Trimble: Die Herausgabe der Waffen sei nicht genug, sagte er, die IRA müsse sich auflösen. Sein Stellvertreter John Taylor drängt die britische Regierung zur stärkeren Integration Nordirlands in das Vereinigte Königreich. Er kalkuliert, daß die IRA dann noch einmal zu den Waffen greift und ihr von der kombinierten britisch-irischen Staatsmacht der Garaus gemacht wird.

So sieht es auch der Kolumnist einer einflußreichen irischen Sonntagszeitung. Er warnte, daß die britische Regierung „den 15 Monate alten IRA-Waffenstillstand dazu benutzt, um die Organisation zu demütigen“. Dadurch solle sie gezwungen werden, entweder „zu kapitulieren oder zu den Waffen zu greifen, so daß sie endgültig vernichtet werden“ könne.

Laut einer Meinungsumfrage in der Republik Irland gibt es eine klare Mehrheit für die Ausmusterung der IRA-Waffen: 45 Prozent meinen, die IRA solle sämtliche Waffen herausrücken, 31 Prozent würden sich mit einer symbolischen Geste zufriedengeben. 18 Prozent sagen, daß die IRA in diesem Punkt keinen Kompromiß eingehen dürfe.

Die USA haben „keine Ahnung, wohin die Gleise führen und wie die endgültige Übereinkunft aussehen“ solle, sagte Anthony Lake am Wochenende. Was immer die Gründe für den begeisterten Empfang, den man Clinton in Nordirland bereitet hat, gewesen seien, der Besuch markiere auf jeden Fall den Wendepunkt, so Lake. Doch falls der Besuch dazu dienen sollte, Zeit zu gewinnen und von der verfahrenen Situation abzulenken, so ist das schiefgegangen: Daß der Alltag so schnell nach Clintons Abreise wieder eingekehrt ist, verheißt für den Frieden nichts Gutes. Ralf Sotscheck

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