Europäischer als Europa

Italiens Regierungschef Dini sucht die Zweifel an der EU-Tauglichkeit seines Landes durch besondere Forschheit auszugleichen  ■ Aus Rom Werner Raith

Die Methode des italienischen Regierungschefs Lamberto Dini gleicht ungefähr jener, mit der Hochstapler arbeiten: Sie versprechen derart Unmögliches, daß man ihnen schon allein deshalb glaubt, weil man sich nicht vorstellen kann, daß einer so viel verspricht, ohne es halten zu können. Allenthalben auf dem Alten Kontinent schwirren große Bedenken über die Europatauglichkeit Italiens herum. Und die versucht nun Dini, gleichzeitig Haushaltsminister und kommissarisch auch noch Chef des Justizressorts, mit geradezu abenteuerlichen Versicherungen zu zerstreuen.

So möchte er nicht nur glauben machen, daß sein Land allen Negativparametern zum Trotz die Bedingungen für den Zutritt zur Währungsunion rechtzeitig einhalten wird. Nein, sogar noch schneller, noch rigider, noch zuverlässiger als verlangt werde Italien das schaffen. Einen Super-Doppel- Sparhaushalt hat Dini sich dazu ausgedacht, der schon bis Ende 1997 alle Bedingungen des Maastricht-Vertrags erfüllt. Seinen Haushalt möchte er als sozusagen Präsent einbringen, wenn Italien am 1. Januar 1996 die EU-Präsidentschaft übernimmt. Und bis zum Ende der Präsidentschaft im Juni 96 soll das Sparpaket verabschiedet sein.

Da staunt nicht nur der Fachmann. Bei einer Staatsverschuldung von bald zwei Billionen Mark, dem Fünffachen des Staatshaushaltes, einer Inflationsrate von sechs Prozent mit keinesfalls abnehmender Tendenz und Steuerlöchern, die noch vor Weihnachten zu einem ansehnlichen Nachtragshaushalt führen werden, müßte schon ein deftiges Wunder geschehen, damit Dini, ehemaliger Generaldirektor der Notenbank, sein Versprechen einlösen kann.

Denn wo gespart werden kann, da hat er schon gespart. Das allgemeine Aufatmen nach dem Ende der Regierung Berlusconi ist inzwischen vorbei. Damals hat Dini die Erleichterung nutzen und den Gewerkschaften massive Einschnitte ins Renten- und Versorgungsnetz aufdrücken können. „Wenn der nur noch eine Lira von den Pensionen kappt“, sagt jetzt der Chef der größten Dachgewerkschaft, Sergio Cofferati, „dann haut er sich den Kopf ein.“ Zugleich hat die Steuerhinterziehung im Land derart hohe Quoten erreicht, daß in bestimmten Bereichen selbst bescheidene Ansätze für 1995 nicht einmal zu 80 Prozent erreicht werden.

So ist zum Beispiel nicht einmal die Hälfte aller im Lande herumstehenden Häuser und Bauten ins Grundbuch eingetragen und wird damit auch nicht steuerlich erfaßt. Über das nötige Fachpersonal, um den illegalen Bauherren auf die Schliche zu kommen, verfügt die Finanzwache jedoch nicht.

Derlei Überlegungen kommen natürlich auch den Europa-Beamten. Nun sucht sich der schlitzohrige Technokrat Dini, der eigentlich zum Ende des Jahres zurücktreten wollte, Rückendeckung, woher er sie nur nehmen kann. So auch von seinem Amtskollegen Helmut Kohl, bei dem er gestern zu Besuch in Bonn weilte. Dort versuchte er offenbar seinen Sparwillen zu demonstrieren, doch sich zugleich auch ein Hintertürchen zu öffnen: Schließlich könnte man die Währungsunion doch auch noch ein bißchen über das angepeilte Jahr 1999 hinaus verzögern – selbstverständlich unter Beibehaltung des strengen Sparkurses.

Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro steht jedenfalls hinter Dini, weil er Neuwahlen und dabei einen möglichen erneuten Sieg seines Intimfeindes Silvio Berlusconi verhindern will. Die euroskeptische Rechte sucht der Regierungschef derweil mit der Drohung ruhigzustellen, sie werde die noch immer üppigen Entwicklungsgelder aus Brüssel verspielen. Im Parlament, in dem ihn eine schwankende Mitte- Links-Allianz stützt, herrscht eine unentwegte Schaukelbewegung. Einen Tag fordert die Rechte Neuwahlen, am nächsten Tag nimmt sie aber davon wieder Abstand, während die Linke, die vorher nicht wollte, nun doch will – je nachdem, was die Meinungsumfragen hergeben.

Um möglichst alle zumindest formal hinter sich zu bringen, hat sich Dini anfang Dezember vom Parlament ohne Gegenstimmen einige Essentials absegnen lassen: Neben der „einmütigen“ Versicherung, den Staatshaushalt sanieren zu wollen, steht da nun auch die Erklärung, man wolle über Maastricht nicht neuverhandeln. Außerdem werden man sich freiwillig verpflichten, die Prinzipien der Eurowährungs-Einigung auch nach dem Beitritt zur vereinigten Knete weiter zu beherzigen.

Doch ob es dem Mann im Regierungspalais Palazzo Chigi gelingen wird, die Neuwahl-Verfechter daheim auf einen Termin nach dem „italienischen Semester“ zu vertrösten und gleichzeitig den Boden für den Sparhaushalt zu bereiten, bezweifelt in Rom freilich so ziemlich jeder. Im Regierungsamt selbst verziehen die Beamten dazu spöttisch den Mund: „Mag ja sein, daß das alles nicht klappt. Aber das kann man uns vorher nicht beweisen, und da hier keiner dagegen spricht, werden sie uns wohl Glauben schenken müssen.“