: Briefbombe für Kohl löst Panik aus
■ Nach Explosion werden Briefträger vor verdächtigen Sendungen gewarnt. Keine Verletzten
Kaum hatte die Nachricht die Runde gemacht, daß eine an Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) adressierte Briefbombe am Montag abend im Postverteilerzentrum Hennigsdorf explodiert war, herrschte auf vielen Postämtern höchste Alarmstufe. Postbedienstete wurden gestern von der Direktion vor weiteren Briefbomben gewarnt, einige Briefträger am frühen Morgen wieder nach Hause geschickt. Im Bezirk Mitte kam es zu erheblichen Verzögerungen bei der Zustellung. Eine Mitarbeiterin ließ gar eine ihr verdächtig erscheinende Sendung vorsichtshalber zurückgeben – ihre Sorge erwies sich jedoch nach polizeilicher Prüfung als unbegründet.
Die an Kohl adressierte Briefbombe war am Montag gegen 20.15 zum ersten Mal explodiert, als sie ein Angesteller ins Fach legen wollte. Sie ging zum zweiten Mal hoch, als später ein Polizist die Reste berührte. Verletzt wurde niemand. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft bestand die Bombe aus einem „explosiven Gemisch, welches bei normalem Kontakt zur Detonation kommt“. Obwohl Herkunft und Motiv noch gänzlich unklar sind, wollten die Karlsruher Ermittler nicht ausschließen, daß die Sendung von einem „Trittbrettfahrer“ der jüngsten österreichischen Briefbombenserie stammen könnte. Die weder mit einem Absender versehene noch frankierte und abgestempelte Sendung könnte aus Berlin oder der näheren Umgebung stammen, so die Vermutung der Post.
Ein Zusammenhang mit Österreich ist nicht völlig auszuschließen. Erst im Oktober verurteilte ein Berliner Amtsgericht den 27jährigen Neonazi Bendix Wendt zu zweieinhalb Jahren Haft wegen Verstoßes gegen das Kriegskontrollwaffen-Gesetz. Der Ostberliner hatte den österreichischen Neonazi Peter Binder 1993 zu einer ehemaligen russischen Kaserne geführt, wo dieser zehn Kilogramm Sprengstoff aus alten Panzerminen ausgebaut haben soll. Binder muß sich derzeit zusammen mit seinem Kompagnon Franz Radl in Wien wegen der Briefbombenserie vom Dezember 1993 verantworten, bei der unter anderem der damalige Wiener Bürgermeister verletzt wurde.
Schon häufiger wurden in den vergangenen Jahren in Berlin Briefbomben verschickt. Die Mutter des früheren Neonazis Ingo Hasselbach entging im November 1993 nur knapp einem Attentat, als sie ein an ihren Sohn adressiertes Buch öffnen wollte. Der frühere Neonazi-Kader war nur wenige Monate zuvor aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen. Als mutmaßliche Täter gelten frühere Gesinnungsfreunde des Aussteigers. Wie im Falle Hasselbach ist auch das tödliche Attentat im Sommer 1991 auf den Referatsleiter der Senatsbauverwaltung, Hanno Klein, bis heute ungeklärt. Sowohl die Baubranche als auch die linksextremistische Szene wurden nach dem Tod des 48jährigen als Hintermänner vermutet. Severin Weiland
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