„In Rußland müssen Patrioten regieren“

Ex-General Lebed setzt im Wahlkampf auf gemäßigten Nationalismus  ■ Aus Krasnogorsk Klaus-Helge Donath

„Den Lebed, na klar! Keine Frage. Neben ihm, der Skokow, ich weiß nicht recht. Der gehörte doch zu Jelzin. Hat nur die Seiten gewechselt“, sinniert die ältere Frau vor dem Kulturhaus „Salut“ in Krasnogorsk, einer Kleinstadt bei Moskau. Sie steht vor einem Plakat des „Kongresses russischer Gemeinden“ (KRO), für den General Alexander Lebed gleich eine Wahlveranstaltung abhalten wird. Den dritten Mann auf dem Plakat, Sergej Glasjew, hält sie für einen talentierten Politiker. Glasjew ist in der KRO verantwortlich für Wirtschaftspolitik – wie im ersten Kabinett des Reformers Gaidar, wo er den Posten des Außenhandelsministers bekleidete. Die entscheidenden Weichenstellungen, die den Umbau der Wirtschaft einleiteten, hat er mitgetragen. Erst im Herbst 93 verließ er die Regierung. Das kann die alte Dame natürlich nicht wissen, aber in Jurij Skokow, der grauen Eminenz des militärisch-industriellen Komplexes, täuscht sie sich nicht. Er leitete den Sicherheitsrat Jelzins. Diesem hat er nie verziehen, daß er Viktor Tschernomyrdin zum Premierminister erkoren hat und nicht ihn. Zwei Gesetze wirken in der russischen Politik: Sie konzentriert sich ausschließlich auf Personen, diese wiederum schielen nur nach den Pfründen. Die Ideologie ist dabei nebensächlich.

KRO wurde gegründet als ein Verband, der die Interessen der Auslandsrussen in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion vertreten wollte. Nur Lebed hat sich dafür – wenngleich fragwürdig – eingesetzt. Als General der 14. Armee in der russischsprachigen Separatistenrepublik Transdniestrien. KRO und ihr Vorsitzender Skokow brauchten einen zugkräftigen Kandidaten, um bei den Wahlen überhaupt eine Chance zu haben. Das Parlament soll Skokow nur als Sprungbrett in den Kreml dienen. Vor ähnlichen Nöten stand auch Glasjew mit den Splittern seiner Demokratischen Partei Rußlands. Nach dem Zweckbündnis mit KRO sprang der Fraktionsvorsitzende der Partei, Stanislaw Goworuchin, ab, weil der neue Verbündete sich weigerte, ihn auf einen vorderen Listenplatz zu setzen. Es wäre zu eng geworden im Gerangel um die Präsidentschaftskandidatur. Lebed, dem für einen Erfolg die Organisation fehlte, bot sich als Galionsfigur geradezu an. Er soll die Wähler fangen, was dann kommt, steht auf einem anderen Blatt.

Endlich kommt der General. Lebeds unnachahmbare Stimme, wie ein „startendes Flugzeug“ (The Economist), dröhnt in den Raum. Die dreihundert vornehmlich älteren Besucher drückt es in die Sessel. Doch er kann nicht reden, Nebensätze sind nicht seine Stärke. Seine Message, in „Rußland müssen Patrioten regieren“, wird nur mit mäßigem Applaus bedacht. Das halten die Zuhörer für selbstverständlich, sie wollen Deftigeres hören. Er spult den Kanon nationalistischer Platitüden ab. Der bedrohliche Geburtenrückgang und die chinesische Gefahr. Schon hier dürfte er mit Skokow aneinandergeraten, der im 21. Jahrhundert das Bündnis mit China als Angelpunkt einer neuen – von Russen dominierten – Weltordnung heraufmalt. Dann zieht er gegen die korrupte Führungselite im Kreml zu Felde und verspricht, am Tag nach seiner Wahl auf alle Privilegien zu verzichten. So etwas kommt beim Publikum gut an, aber nicht bei den politischen Bundesgenossen. Die Alten wollen jedoch Zündenderes hören. Das Bekenntnis zu mehr Staat in der Wirtschaft reicht nicht, seine flügellahmen Attacken gegen den Westen, dessen Ausbeutung russischer Bodenschätze – all das hat man schon x-mal gehört. Daß er Armee und Rüstungsindustrie stärken werde, hätte man nicht anders erwartet.

Von ihm, dem Saubermann, der es verstehen muß, mit einem Stahlbesen zu kehren, wünscht man eine kompromißlose Aussage, welches Korsett er Rußland überziehen will. Doch Lebed kneift. „Eine Veränderung des Systems vornehmen“, zu mehr läßt er sich nicht hinreißen, auch von den hartnäckigsten Bohrern nicht. „Wohin, in welche Richtung?“ haken sie nach. Statt dessen warnt der General vor Nostalgie, „als man noch wußte, wo man lernt, studiert, sich erholt und beerdigt wird“. Eine Systemveränderung, aber „im Rahmen der Verfassung“. Dem Rassismus gegenüber Kaukasiern, der ihm aus dem Auditorium entgegenschlägt, tritt er zur Enttäuschung vieler sogar entschieden entgegen. Auch sie seien russische Bürger und hätten ein Recht zu leben, wo sie wollten. „Überhaupt“, fragt er, „wer sind wir Russen eigentlich, läßt sich das nach dreihundert Jahren Vermischung noch bestimmen?“ Die einen lachen, die anderen überhören es: „Jeder hat doch mit jedem geschlafen ...!“ Nannte Lebed früher den chilenischen General Pinochet sein Idol, soll er nun auf der Suche nach einem neuen Leitbild sein – Charles de Gaulle scheint es zu werden. Eine starke Hand – gleichwohl mit gewissen demokratischen Empfehlungen.

Seine Zuhörer feiern ihn denn auch nicht wie einen charismatischen Führer. Man spendet Beifall, doch das war's. Die meisten verlassen den Ort mit noch mehr Zweifeln. Wie Offizier Wladimir, er weiß nicht, ob er ihm seine Stimme geben soll. Auch die alte Dame hatte sich mehr versprochen.

KRO steht vor zwei Dilemmata. In den Regionen fehlen ihm Organisation und Rückhalt. Ideologisch konkurriert er mit einer Vielzahl von Parteien – von den Kommunisten bis zu den Anhängern Schirinowskis.

Hier noch eine komfortable Nische aufzutun, ist schwer. Ein moderater Nationalismus verfängt nicht oder wird von anderen glaubhafter praktiziert. Alles steht und fällt daher mit Lebed. Doch dessen Legende bröckelt, je öfter er sich der Öffentlichkeit aussetzt.