: Barbie aus Little Hope
Der Satan möglicherweise – Gus van Sants „To Die for“ mit absolut bravouröser Nicole Kidman ■ Von Mariam Niroumand
„Jahrelang hat man uns beigebracht, nichts zu mögen. Schließlich sagte irgend jemand, es wäre o.k. die Dinge zu mögen. Das war eine große Erleichterung. Es war nämlich ziemlich schwierig geworden, herumzulaufen und nichts zu mögen.“ David Byrnes Kommentar zu seinem Film „True Stories“ ließ sich seinerzeit, erinnern wir uns, problemlos auf eine ganze Reihe von Filmen münzen: „Blue Velvet“, „Blood Simple“, „Edward Scissorhands“ oder „Stranger than Paradise“ waren sämtlich von einer neuartigen Begeisterung für Small Town Americana und Shopping Mall Chic getragen. Traumverloren legte sich, wie ein Dia, das am nächsten klebt, ein rehabilitiertes Bild der fünfziger Jahre über das der achtziger. Schwer zu sagen, ob Arroganz oder Affirmation im Spiel waren. Ja, wer hatte uns denn gesagt, daß es jetzt o. k. war, die Dinge zu mögen? War's David Byrne? War's Andy Warhol? War's Ronald Reagan? (War's der Satan?)
Gus van Sant jedenfalls, in seinem neuesten Film „To Die for“, hält es definitiv mit der Pop Art und ihrem Enthusiasmus für die Textur der Alltagswelt. Gleich das erste Skandalblattporträt, das wir von seiner Protagonistin Suzanne Stone (Nicole Kidman) sehen, wird größer und größer, bis nur noch die Punkte des Zeitungsrasters übrigbleiben: Roy Lichtenstein für die Leinwand, alle Macht der Oberfläche, es gibt kein „hinter der Erscheinung“. Weitere Vergrößerung der Punkte ergibt nur neue Punkte – niemals ein Porträt, ein Motiv, eine Charakterstudie. Niemals ein Bildungsroman. Kein schlechter Start für ein Biopic.
Kidman alias Suzanne Stone, angetan mit pastellfarbenen Chanel-Kostümen, prunkt unter blauem Himmel als die Claudia Schiffer der Vorstädte. Little Hope heißt der Ort. Er liegt in New Hampshire, dem kältesten und nördlichsten der Bundesstaaten vor Alaska. Wer amerikanischer Präsident werden will, muß hier die Vorwahlen überleben.
Suzanne will Fernsehkarriere machen und zwar um jeden Preis: „Was du nicht auf der Leinwand tust, hast du umsonst getan.“ Warhols Prognose schallt mit leicht drohendem Unterton zurück: Wehe, wenn den Jedermännern die fünfzehn Minuten Fernsehberühmtheit verweigert werden ...
Aufgebaut als Dokumentation – mit Presseclips, Talk-Show-Ausschnitten und Kurzinterviews auf Video –, erfahren wir von Eltern, Geschwistern und anderen Beteiligten, daß das, was wir hier zu sehen bekommen, die Chronik eines Verbrechens sein wird. Suzannes nicht eben heller Ehemann Larry Maretto (Matt Dillon als Italo- Amerikaner) ist tot, und manche Gesprächspartner deuten an, daß sie da die Finger im Spiel hatte.
Eine Geschichte entspinnt sich, deren Witz und Überraschungseffekt unter anderem daraus entstehen, daß Skrupellosigkeit im Kino traditionellerweise mit Intelligenz gepaart ist. Suzanne aber ist als Blonde Ambition von frappierender Dussligkeit. „Weißt du“, sagt sie irgendwann zu einer jungen Bewunderin, „dieser Gorbatschow? Der Russland so lange regiert hat? Ich bin sicher, er könnte jetzt noch an der Macht sein, wenn er sich dieses scheußliche Ding auf der Stirn hätte wegmachen lassen.“ Sie wird Cheer Leader, macht eine Model-Ausbildung, tut sich in der Kirchengemeinde hervor und initiiert die erste „Just-say-no“-Kampagne gegen Drogen. Sie heiratet einen Burschen, weil die anderen Mädchen ihn anstarren, als wäre er ein Fernseher.
Nachdem sie diesen Larry Moretto nun also geheiratet hat (in einem Hochzeitskleid nach dem Vorbild von Maria Schriver, der heutigen Frau Schwarzenegger), entert sie die lokale Fernsehstation WWEN, deren Auskunft, sie suchten nur ein Mädchen für alles, die eben mal zu Dunkin' Donuts rübergeht und einkauft, sie nicht im geringsten beeindruckt. Kidman ist fantastisch, wenn sie halb soldatisch, halb Barbie Puppe, mit der Aktentasche in dieses gottverlassene Fernsehstudio einmarschiert. Wenige Wochen später ist sie Wetterfrosch, ihre Wetterberichte halbe Animationsnummern (unbedingt die Originalfassung ansehen), und die Menschen auf der Straße fangen an sie zu grüßen.
Der Gedanke an Kinder, den ihr lieber Einfaltspinsel von einem Mann und seine italienische Mischpoke träumen, löst in ihr leichte Ekelwellen aus. Suzanne, inzwischen mit allen Insignien des Bovarysmus ausgestattet, ergreift eine Videokamera und zielt am College auf ein paar verschlissene Jugendliche, die unmittelbar aus „Kids“ entsprungen scheinen (übrigens von van Sant produziert). Diese verführt sie nach Strich und Faden, speziell den kleinen Jimmy (Joaquin Phoenix, ein weiterer Sproß aus dieser offenbar unerschöpflichen Artistenfamilie), dem sie mit einem einzigen blow-job auch die letzten Hirnreserven noch weggelutscht hat. Er bringt, gemeinsam mit seinem Freund Russel, ihren Mann um und löst damit endlich den Skandal aus, mit dem Suzanne groß herauskommt. Witwenschwarz, Sonnenbrillen, Trost durch ein kleines Schoßhündchen. Es wird immer fieser und schöner, vor allem, als dann David Cronenburg einen kleinen Gastauftritt hat und mit einem Angebot kommt, daß Suzanne nicht ablehnen kann. Köstliches Finale!
Vom Stoff her könnte man zunächst meinen, es handele sich um eine Variation des Themas „Aufstand und Triumph des schlechten Geschmacks“, wie man es von „Natural Born Killers“, Chabrols „Biester“ oder so ziemlich jedem Altman-Film kennt. Dazu würde passen, daß sich hier das Kino des traditionellerweise an die eigene Adresse gerichteten Vorwurfs der Schundproduktion entschlagen möchte, indem mit angezogenem Finger auf das nackte Fernsehen gezeigt wird.
Aber van Sant ist, wie gesagt, Pop Artist. Die Pastellfarben, die Wetterkarte, die Coffee Shops – das alles liebt er wirklich. Im Gegensatz zu seinen früheren Filmen, beispielsweise dem Matt-Dillon- Vehikel „Drugstore Cowboy“, hat er sich diesmal entschlossen, nicht länger vom Rand aus zu operieren. Das war zwar in „My Own Private Idaho“ noch gutgegangen, aber hatte in „Even Cowgirls Get the Blues“ schon deutlich kunstgewerbliche Züge angenommen.
Während sich also van Sant durch „To Die for“ in den Mainstream katapultiert hat – wo immer mehr Leute aus seiner Ecke inzwischen herzliche Aufnahme gefunden haben – bedeutet der Film für seine Protagonistin einen Sprung ins anspruchsvolle Charakterfach. Mit Nicole Kidman hat er voller Wagemut nach dem blondesten und weißesten Amerika gegriffen, das es gibt – als Ehefrau von Tom Cruise und wie er langjähriges Scientology-Mitglied ist die gebürtige Upperclass-Australierin sein bislang weitaus dickster Fisch. (Wer hier wen an der Angel hatte, wird übrigens beim Zusehen immer unklarer. Alle Videoaufnahmen stammen von Kidman.) Die Gruseleffekte, die seine Umarmung der Kitschy Cool-Americana noch enthält, scheinen sie eher der heraufdämmernden Befürchtung zu entstammen, Amerika – und zwar das Amerika von Little Hope, das Amerika, in das sie aus Europa mal auf der Suche nach Utopia eingewandert waren – könnte alles sein, was man hat.
„To Die for“. Regie: Gus van Sant. Mit: Nicole Kidman, Matt Dillon, Joaquin Phoenix und anderen. USA 1995
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