: Endlich Frieden für Bosnien?
■ In Paris wird heute das Dayton-Abkommen unterzeichnet. Die neuen Grenzen wurden nach ethnischen Kriterien gezogen. 60.000 Soldaten sollen den brüchigen Frieden absichern
Berlin (AFP/AP/taz) – Der heutige 14. Dezember ist ein historischer Tag für Bosnien-Herzegowina. Nach dreieinhalb Jahren Krieg mit 200.000 Toten und 3,5 Millionen Vertriebenen setzen die Präsidenten Bosniens, Kroatiens und Serbiens, Alija Izetbegović, Franjo Tudjman und Slobodan Milosević, heute im Festsaal des Pariser Elysée-Palastes ihre Unterschrift unter das in Dayton ausgehandelte Friedensabkommen. Mit der Unterzeichnung des 150seitigen Dokuments, zum dem elf Anlagen und 102 Karten gehören, schließen die Kriegsparteien damit offiziell Frieden.
Als Zeugen werden US-Präsident Bill Clinton, der französische Präsident Jacques Chirac, Rußlands Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin, der britische Premierminister John Major, Bundeskanzler Helmut Kohl und der spanische Regierungschef Felipe Gonzales unterzeichnen. Fehlen werden in Paris der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić und sein Militärchef Ratko Mladić, gegen die Anklage vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag erhoben ist.
Der „Friedensvertrag für Bosnien Herzegowina“ umfaßt alle Vereinbarungen, die am 21. November im US-amerikanischen Dayton getroffen wurden. Erreicht wurden sie nach einer dreimonatigen Pendeldiplomatie des US-Unterhändlers Richard Holbrooke zwischen Belgrad, Sarajevo und Zagreb und mehrwöchigen Verhandlungen auf dem US-Luftwaffenstützpunkt in Dayton.
Zentraler Punkt des Abkommens ist die Festschreibung der Einheit des Staates Bosnien-Herzegowina in seinen jetzigen Grenzen. Der bosnische Staat besteht danach allerdings aus zwei Teilen, der muslimisch-kroatischen Föderation und der Serbischen Republik in Bosnien. Muslime und Kroaten bekommen 51 Prozent des Staatsgebiets, die Serben 49 Prozent. Beide dürfen jeweils „besondere Beziehungen“ zu Kroatien beziehungsweise zu Serbien unterhalten.
Bosnien-Herzegowina wird eine einheitliche Währung, eine Flagge und eine gemeinsame diplomatische Vertretung im Ausland haben. Es erhält einen Präsidenten und eine Regierung, auch wenn diese nur über beschränkte Befugnisse verfügen.
Unmittelbar nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens in Paris wird eine 60.000 Mann umfassende internationale Friedenstruppe (IFOR) unter NATO-Kommando und unter Führung von US-General George Joulwan in Bosnien stationiert. Sie soll für die Dauer von „etwa einem Jahr“ die Einhaltung des Waffenstillstands und die Truppenentflechtung überwachen.
Gleichzeitig organisiert die internationale Gemeinschaft ein humanitäres Hilfsprogramm, um den Wiederaufbau des Landes, die Rückkehr der Flüchtlinge und die Abhaltung freier Wahlen zu gewährleisten. Die Wahlen sind für Oktober 1996 unter Schirmherrschaft der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geplant.
Gestern waren die Außenminister der drei Kriegsparteien in einem Pariser Vorort zusammengetroffen, um über eine gegenseitige Anerkennung ihrer Staaten zu beraten. Es wird allerdings nicht erwartet, daß dieAnekrennnung schon bei der Unterzeichnung bekanntgegeben wird.
Umstritten ist das Friedensabkommen allerdings bei allen drei Seiten. Während die Serben sich einer Wiedervereinigung Sarajevos unter muslimisch-kroatischer Verwaltung widersetzen, fordern die Muslime auf lange Sicht die ostbosnischen Enklaven Srebrenica und Žepa sowie die früher muslimischen Städte an der Drina zurück. Die Kroaten aus der Posavina entlag der Save-Tiefebene widersetzen sich der Übergabe ihrer fruchtbaren Gebiete an die Serben.
Tudjman und Milosević streben nach Angaben aus Zagreb auch einen Gebietsaustausch an, der die kroatische Küstenstadt Dubrovnik künftig vor Artillerieüberfällen schützen soll. Dazu tritt Kroatien die strategisch bedeutsame Halbinsel Prevlaka an seiner Südspitze an Serbien und Montenegro ab. Im Gegenzug wird das Hinterland von Dubrovnik auf Kosten der bosnischen Serben verbreitert.
General Joulwan will nach eigenen Worten bereits nach drei Monaten abschätzen können, ob die Friedensmission in Bosnien Erfolg haben wird oder nicht. Joulwan hat den Einsatzplan für die Truppen selbst entwickelt. Im Nato-Hauptquartier in Casteau bei Brüssel sagte er gestern: „Wir werden schon innerhalb von 90 Tagen wissen, ob es Frieden geben wird.“ Wenn der Frieden nicht halten werde, müsse überlegt werden, was dann zu tun sei.
Nicht im jetzigen Friedensplan integriert ist eine Lösung für das serbisch-kontrollierte Ostslawonien. Hier hatte der Balkan-Krieg im Jahr 1992 seinen eigentlichen Ausgang genommen. Am 12. November 1995 hatten sich Kroatien und Serbien nach langen Verhandlungen jedoch auf eine friedliche Wiedereingliederung Ostslawoniens in das kroatische Hoheitsgebiet geeinigt. Um diese Friedensregelung zu überwachen und umzusetzen hat der UNO-Generalsekretär Butros Ghali die Entsednung von 9.300 Soldaten nach Ostslawonien gefordert. Nach Butros Vorschlag sollen die UNO-Truppen der Friedenstruppe der Nato (Ifor) angeschlossen werden. Denkbar sei aber auch die Möglichkeit, daß die UNO die Operation selbständig ausführe. Über ein mögliches Mandat muß der UNO-Sicherheitsrat beschließen. Zur Umsetzung des Dayton-Abkommens soll am 18. Dezember in Bonn eine Konferenz über Abrüstung und vertrauensbildende Maßnahmen in der Region folgen. gb
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