: Wegelagerer in Uniform
■ Hauptbahnhof: Kassieren Polizisten bei Junkies ab? / Mal wieder im Zwielicht: Die Revierwache Kirchenallee / Neuer Fall für den PUA? Von Sannah Koch
Verdienen sich Polizisten am Hamburger Hauptbahnhof ein Zubrot von Drogenabhängigen? Ein Verdacht, der sich nach den Schilderungen von Marcella Papenmeyer aufdrängt. Die Vorsitzende der Hamburger Elterninitiative für akzeptierende Drogenarbeit war Zeugin eines solchen Zugriffs von Polizeibeamten. Der GAL-Abgeordnete Manfred Mahr griff ihre Erlebnisse in der vergangenen Woche in einer Kleinen Anfrage an den Senat auf. Doch dessen Antwort strotzt so vor Ungereimtheiten, daß die Sache ein Fall für den Parlamentarischen Untersuchungsausschuß (PUA) zum Polizeiskandal werden könnte.
Ein Zögling von Marcella Papenmeyer wurde im vergangenen Herbst Opfer der fragwürdigen Polizeipraxis. Andrea T. wurde nach ihren Schilderungen am 16. Oktober gegen 15 Uhr auf dem Hansaplatz von zwei Uniformierten angehalten und zur Revierwache Kirchenallee mitgenommen. Dort habe sie sich nackt ausziehen müssen. Dann habe man ihr die Armbanduhr und 30 Mark mit der Begründung abgenommen, es handele sich um Dealergeld. Andrea T. verlangte eine Quittung, diese wurde ihr jedoch verweigert.
Ein Vorgehen, das die Vorsitzende der Elterninitiative aufbrachte: Sie setzte noch am selben Abend einen Beschwerdebrief an den Leiter der Wache auf. Sie wies darauf hin, daß Andrea das Geld von ihr erhalten habe und die Uhr ihr rechtmäßiger Besitz sei – und vergaß auch nicht den Vermerk „Kopie an Innensenator Wrocklage“.
Ein äußerst effektiver Fingerzeig, wie sich zwei Tage später erwies. Mit dem Brief in der Hand und in Begleitung Marcella Papenmeyers suchte Andrea T. erneut die Wache auf, um ihr Eigentum zurückzufordern. „Ich konnte von draußen beobachten, wie ein Beamter mit dem Brief in die hinteren Räume verschwand und Andrea später die Sachen aushändigte“, so Papenmeyer.
Doch trotz dieses Augenzeugenberichts leugnet die Revierwache nun den Vorgang. Auf die detaillierten Nachfragen des GALiers Mahr antwortet der Senat: Frau T. seien nach dem Stand der bisherigen Überprüfung weder Sachen abgenommen noch ausgehändigt worden; auch sei sie nicht auf die Revierwache gebracht worden. Trotzdem sei nun ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eingeleitet worden.
Weitere Ungereimtheit: Der Senat bestätigt, daß Andrea Ts. Name an jenem Tag auf einer „Tagesüberprüfungsliste“ auftaucht. Darin würden auf der Straße überprüfte Personen, die zur Drogenszene gezählt werden, namentlich in zeitlicher Reihenfolge aufgelistet. Danach, so beschied der Senat in seiner Antwort auf Mahrs Anfrage, sei Andrea jedoch nicht um 15 Uhr am Hansaplatz, sondern um 12.45 Uhr am Hachmannplatz kontrolliert worden. „Unmöglich“, bestreitet Marcella Papenmeyer, „wir sind an diesem Tag erst um 13.30 Uhr aus Geesthacht losgefahren.“
Für sie ist der Vorgang kein Einzelfall. Seit Jahren betreut sie mit der Elterninitiative am Hauptbahnhof Heroinabhängige. Dort habe sie regelmäßig beobachtet, daß Polizisten von Junkies Geld kassieren. „Anfangs habe ich gedacht, die Süchtigen müßten irgendein Strafgeld zahlen“, so Papenmeyer. Heute sei für sie denkbar, daß manche Beamte sich so ihre Gehälter aufbessern.
Die Beschlagnahme einer Armbanduhr und einer geringen Summe wie 30 Mark als Dealergeld hält auch Hamburgs Drogenbeauftragter Horst Bossong für ungewöhnlich. Das Verweigern einer Quittung sei in diesem Zusammenhang auf jeden Fall rechtswidrig. Und für Manfred Mahr ist der Vorfall ein weiteres Indiz dafür, daß im Rahmen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Polizeiskandal noch einiges aufzuklären ist.
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