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Ehe, Moral,Sündenpolicey

Die australische Historikerin Lyndal Roper rekonstruiert die Geschlechtsrollen in der frühen Neuzeit: Im Mittelpunkt stehen die Körper  ■ Von Thomas Kleinspehn

Während sich hierzulande die Geister an Quotierungen scheiden, hohe europäische Gerichte oder CDU-Parteitage die Männer(vor) macht mit Klauen und Zähnen verteidigen, könnte man sich fragen, was der dadurch vielfach beschworene Rückfall ins „dunkle Mittelalter“ mit der Wirklichkeit überhaupt zu tun hat. Und umgekehrt sollte es stutzig machen, warum es im späten 20. Jahrhundert den Anschein hat, als ob die Gleichberechtigung von Mann und Frau nur mit Zahlenakrobatik zu lösen ist. Ein Blick in die Geschichte jedoch kann helfen, diese Fragen zu präzisieren. Denn geschlechtsspezifische Macht ist keineswegs eine Angelegenheit numerischer Verteilungen, sondern ist sozial tief verwurzelt und bis in den Körper eingeschrieben. Da kommen die beiden Bücher der jungen australischen Historikerin Lyndal Roper gerade recht.

Gebändigte Körper

Sie zwingen nämlich in erfrischender Weise, überkommene Bilder zu revidieren. Die in England lehrende Autorin untersucht die Rolle der Frauen im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit: in den Städten, im Heilwesen, als Hexen, in der sexuellen Abweichung.

Die frühe Neuzeit ist für Roper ein Zeitalter des Übergangs. In höchst plastischer Weise arbeitet sie das Alltagsleben von Menschen heraus, die in den Zwiespalt zwischen ihren Trieben und Wünschen und den gesellschaftlichen Normierungen geraten sind. Indem sie den Körper in den Mittelpunkt rückt, wird deutlich, daß es sich bei der Lösung dieser Konflikte keineswegs um einseitige Prozesse handelt, Frauen mit der Reformation nicht aus patriarchalen Strukturen befreit, der Körper vielmehr seit dem 16. Jahrhundert diszipliniert und gebändigt werden sollte und die Freiräume von Frauen dadurch enger wurden.

Die Erkenntnis, daß dies beide Geschlechter in ganz unterschiedlicher Weise betrifft, ist an sich nicht neu, seitdem in den 70er Jahren das Werk Norbert Elias' bekannter geworden ist und sich auch die Studien von Michel Foucault oder die „Annales“-Schule immer mehr durchsetzten. Was der australischen Historikerin jedoch gelingt, ist, die Theorie auf den Boden zu holen, und das heißt vor allem, die vernachlässigte Perspektive der Frauen und des Körpers nicht zu isolieren, sondern im sozialen Kontext zu betrachten.

So interessiert sie sich zwar – wie Elias und Foucault – für die Ausbreitung der Normen, die Verfolgung der Sünden bis in die kleinsten Verästelungen der verborgenen Seele, doch dieser verstärkte Normierungsdruck und die Verinnerlichung von Normen (Elias) vollzieht sich nach Ansicht Ropers nicht nur prozeßhaft und schleichend, sondern hat auch materielle Grundlagen.

Ehefrau und Meister

Besonders in den Essays um das „fromme Haus“ versinnbildlicht sie, wie mit der Renaissance nicht nur das Individuum und die Städte an Bedeutung gewinnen, sondern auch der Haushalt als wirtschaftliche Einheit in den Blickpunkt gerät. Mann und Frau sind in den Haushalten der Handwerker und kleinen Kaufleute, mit denen sich die Autorin überwiegend beschäftigt, schon aus ökonomischen Gründen aufeinander angewiesen: Ohne die Versorgung des Hauses durch die Frau und die nach außen gerichtete Arbeit des Mannes wäre das so definierte System gefährdet. Auf ihm bestanden die städtische Obrigkeit ebenso wie die Zünfte. So durften etwa ab Mitte des 16. Jahrhunderts häufig keine Handwerker Meister werden und sich niederlassen, wenn sie nicht verheiratet waren.

Richteten im Mittelalter die Zuchtordnungen ihr Augenmerk noch überwiegend auf die öffentlichen Sünden wie Ehebruch oder das Zusammenleben von Unverheirateten, so zielte danach die „Sündenpolicey“ auf den Geschlechtsverkehr und Sexualität schlechthin.

Prostitution wird Sünde

Die Ehe wurde zum Eckwert und Maßstab, sexuelle Zucht und soziale Reife gingen ineinander über: Erst der moralisch Reine kann auch ein akzeptierter Wirtschaftsbürger sein. Lyndal Roper untersucht detailliert die Akten der Sündengerichte aus dem süddeutschen Raum – vor allem aus Augsburg –, welche die immer stärkere Einmischung der städtischen Obrigkeit in die Ehen offenbaren. Die von der Kirche schon seit Jahrhunderten geforderte schärfere Rollentrennung von Mann und Frau wird nun vor dem ökonomischen Hintergrund und einer unterschiedlichen Bewertung von männlicher und weiblicher Sexualität auch auf der weltlichen Ebene zementiert. Deutlich wird dies etwa an der Prostitution, bis dahin tolerierter Bestandteil des öffentlichen Lebens. Nunmehr gilt das Gewerbe ausschließlich als Sünde und wird aus den Städten verbannt. Dabei verändern sich die Bilder von Sexualität und Körper. Bis dahin ging die Gefahr vom weiblichen Körper aus, der den männlichen anzog und bedrohte. Seit der Reformation galt auch der männliche Körper mit seinen Grenzen als bedroht und bedrohlich zugleich: der Körper der Exzesse, des Saufens, des Fressens, Hurerei. So sehr allerdings scheinbar der Körper im Mittelpunkt steht, so gibt ihm Roper doch keinen wirklich systematischen Ort. Im „frommen Haus“ spielt er nur am Rande eine Rolle, und in den „Ödipus und der Teufel“ betitelten Aufsätzen dient er im wesentlichen dem methodologischen Bezugsrahmen.

Körper der Exzesse

Die beteiligten Verlage Fischer und Campus haben die beiden Bücher mit viel Vorschußlorbeeren lanciert. Doch vieles muß bei diesen Essaysammlungen Postulat bleiben. Die Bücher sind dennoch lebendige Bausteine zur Frauen- und Alltagsgeschichte – und auch zur Debatte um die Geschlechterfrage, will man über die reine Quotenfrage hinauskommen.

Lyndal Roper: „Ödipus und der Teufel. Körper und Psyche in der frühen Neuzeit“. Übersetzt von Peter Sillem, Frankfurt, Fischer 1995, 28,90 DM.

Lyndal Roper: „Das fromme Haus. Frauen und Moral in der Reformation“. Übersetzt von Wolfgang Kaiser, Frankfurt/New York, Campus 1995, 58 DM.

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