„Wir fühlen uns verkauft“

■ 400 Hemelinger BügerInnen demonstrieren gegen Stackkamptrasse: „Politiker sind hirnlos“, glauben die von der Politik verlassenen Menschen

Zwischen zweitem Frühstück und Mittagessen haben sich gestern rund 400 Hemelinger BürgerInnen dem eisigen Ostwind ausgesetzt. Sie demonstrierten auf dem Acker des Gutshofes Stackkamp gegen die geplante gleichnamige Trasse. Nach dem Willen des CDU-Fraktionsvorsitzenden Ronald-Mike Neumeyer und seines Kollegen von der SPD, Christian Weber, soll über den Acker ein Autobahnzubringer laufen.

Doch damit nicht genug. Die Sportplätze auf der gegenüberliegenden Straßenseite müßten für die Kleeblatt-Abfahrt der Autobahn weichen. Der Sportverein samt Plätzen war Anfang der achtziger Jahre gebaut worden, um den HemelingerInnen einen Ausgleich für die Industriealisierung ihres Stadtteils zu bieten. Neben den Sportplätzen liegt eine Sekundarstufe-I-Schule. Täglich streben 800 Schülerinnen aus Arbergen, Hemelingen und Mahndorf dorthin zum Unterricht, eingelullt vom Rauschen der Autobahn, die hinter der Schule verläuft.

„Hat sich von den Politikern eigentlich mal einer über die sozialen Einrichtungen Gedanken gemacht?“, fragt sich Helga Imhagen von der Bürgerinitiative „Stacckamp und umzu“. Denn die Trasse würde über den Pausenhof einer weiteren Schule führen, die zudem gerade komplett renoviert wurde. Die Trasse würde die Kinder vom naheliegenden Hort abschneiden. „Die müßten dann unter den Autobahnstelzen durch, um zum Unterricht oder zum Mittagessen zu kommen“, sagt Imhagen. Und auch der neue Anbau an ein Freizeitheim – vor drei Wochen von Sozialsenatorin Tine Wischer feierlich eingeweiht – fiele der Autobahn zum Opfer.

Die Menschen in den östlichen Stadtteilen fühlen sich „verraten und verkauft“. Seit 20 Jahren prüfen und planen, reden und begutachten die wechselnden PolitikerInnen in der Innenstadt Verkehrskonzepte für Hemelingen. Die Planung des Hemelinger Tunnels hat bereits knapp 12 Millionen Mark verschlungen. Laut Gutachten kostet der ganze Tunnel 600 Millionen Mark. Das ist den Fraktionsvorsitzenden und dem Senat zu teuer. Nach ersten Peilungen des Bauressorts kommt die Stackkamp-Trasse „um 400 Millionen Mark billiger“.

Die HemelingerInnen haben nachgerechnet. In diesem Kostenvoranschlag seien weder verkehrsberuhigende Maßnahmen enthalten, die beim Tunnel mit 170.000 Millionen Mark zu Buche schlagen, noch die Abriß- und Wiederaufbaukosten für Schulen, Kinderhort oder Sportplatz. „Wenn man alles zusammenrechnet, kommt man auf fast die gleiche Summe“, sagt Hans Göber, Anwohner des Stackkamp-Ackers.

Er und seine MitstreiterInnen in der Bürgerinitiative glauben dann auch eher an persönliche Interessen des SPD-Fraktionsvorsitzenden. Weber wohnt in Hastedt, wäre unmittelbar vom Hemelinger Tunnel betroffen. Zehn Jahre lang war er Sprecher für den gemeinsamen Beirat von Hastedt und Hemelingen. In der ganzen Zeit „war er nicht in der Lage eine akzeptable Lösung zu finden“, sagt Jörg Eiteljörge von der Bürgerinitiative. „Der Lokalpolitiker läßt grüßen“, sagt Eiteljörge, wenn Weber jetzt eine Trasse möglichst weit entfernt von seinem Wohnort und seiner wahlpolitisch wichtigen Nachbarschaft fordert.

Die HemelingerInnen sind nicht nur von der SPD enttäuscht. Der CDU mögen sie nach den Worten von Ulrich Nölle überhaupt nicht mehr glauben. „Wenn ich am 14. Mai zum Bürgermeister gewählt werde, sorge ich dafür, daß durch den Bau des Hemelinger Tunnels die Wohnquartiere im Bremer Osten endlich vom Schwerlastverkehr befreit werden“, schrieb der Sparkassen-Mann an die WählerInnen. „Daruf gebe ich Ihnen mein Wort“, setzte Nölle noch eins drauf.

„Die Politiker machen gerade, was ihnen in den Kopf kommt“, glaubt eine Anwohnerin. „Hirnlos“ seien die, anders kann sie sich die widersprüchlichen Äußerungen der Volksvertreter nicht erklären.

Eine leise Hoffnung können die HemelingerInnen noch auf Mercedes Benz setzen. Der Autobauer pocht seit Jahrzehnten auf eine bessere Verkehranbindung an sein Werk. Doch dort würden schon Arbeitsplätze abgebaut, weiß ein Mann. Vielleicht entschließe sich das Unternehmen ja, den Bremer Standort ganz aufzugeben. Dann seien Tunnel und Trasse überflüssig. Ulrike Fokken