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Kohl zum Allerletzten Von Mathias Bröckers

Mit Vorhersagen ist das so eine Sache. Als 1989 nach dem Mauerfall Kanzler Kohl und ein paar Schöneberger Sängerknaben die schrägste Deutschlandhymne aller Zeiten intonierten und von den BerlinerInnen niedergepfiffen und ausgebuht wurden – da schrieb ich an dieser Stelle „Kohl zum Letzten“ und hätte mein letztes Hemd verwettet, daß es nun vorbei ist mit der Kanzlerherrlichkeit. Kaum ein Jahr später saß er fe(i)ster im Sattel als je zuvor, und selbst kritische Medien erwiesen der einstigen Lachnummer aus der Pfalz allerhöchsten Respekt.

Also war Abbitte fällig für das Fehlorakel, und wir fragten unter dem Titel „Nett King Kohl“, ob es nicht an der Zeit sei, „den simplen Oggersheimer Buben über das Niveau eines Doktors und Ehrendoktors hinaus endlich so zu promovieren, wie es seinem seltenen Gewicht entspricht? Gebührt dem Manne, über ein bescheidenes Helmut von Kohl (oder ein dezentes von Kohlsäcker) hinaus, nicht ein wahrhaft würdiger, die ganze Dimension des Gesamtstaatskunstwerks umfassender Titel, der noch fernen Generationen von Kindern einst so geläufig sein wird wie allen Karl-May-Lesern der wackere Hadschi Halef ...? Etwa: Seine Allprächtigkeit Helmut Ritter von Kohl zu Oggersheim, Mega- Mufti und Euro-Mogul der allgermanischen Reichssiegelbewahrer, multilateraler West-Ost-Wesir und hochmögender Sultanradscha des Einheitsgeneralsekratariats im ZK der ARD/ZDF, spätgeborener Aussitzer vom Heiligen Sitzfleisch und erlauchter Zieher des großen Schlußstriches unter jedwede Vergangenheit, Pfalz-Papst von Gottes Gnaden und Ehren-Ayatollah von Sachsen-Anhalt, Kohl-Rabbi von Jerusalem und Biber von Eschnapur, Allweiser und Erleuchteter Friedensstifter mit immer mehr Waffen, Groß-Exterminator der Mauer, Bezwinger des Sozialismus und Erretter des Vaterlands, magischer Beeinflusser galaktischer Geschicke und lokaler Lapalien, Ordner des Chaos und Wächter der hermetischen Hackordnung, Hoch- und Deutschmeister der Bundesnebenverdienstkreuzträger, strahlende Hoffnungssonne aller Semi- Intellektuellen und Dummbeutel ...“ Obwohl seitdem noch einige ehrentitelträchtige Großtaten hinzugekommen sind; obwohl die krachende Jovialität des Kanzlerkönigs selbst schärfste Kohlverächter zum Verstummen gebracht hat; obwohl auch nach dem Abgang von Rudolf dem Schlaffen noch keine starke Opposition am Werk ist; obwohl der Stehaufriese desto länger regierte, je öfter ihm das Ende geweissagt wurde, wagen wir ein weiteres Kohl-Orakel: 1996 ist endgültig Schluß und der Allprächtige definitiv reif fürs Geschichtsbuch! Was die zeitgenössischen Hofschreiber ihm dort an Ruhmestaten andichten, tut nichts zur Sache – die Historiker der Zukunft legen andere Maßstäbe an: „Wichtig ist, was hinten rauskommt!“

Und das ist erbärmlich: Außer dem historischen Zufall, der ihm die Wiedervereinigung zuwehte, bleibt nach 13 Jahren Kohl nur ein Scherbenhaufen – die Arbeitslosenzahlen haben sich fast verdoppelt, ebenso wie die angehäuften Staatsschulden. Und wer das Kaliber von Kohls größtem Wurf ermessen will, muß sich nur einmal durch das Privat-TV zappen: das Grauen ist rund um die Uhr zu besichtigen – Kohls „geistig-moralische Wende“.

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