Das Portrait
: "Zwillingsbruder"

■ Rene Preval

Freunde und Gegner von René Préval sind sich einig, daß der künftige Präsident Haitis kein Charisma hat. Kein Wunder, wird er doch an seinem Vorgänger gemessen, dem messianischen Jean-Bertrand Aristide, der vom rebellischen Salesianerpater zum Hoffnungsträger des Volkes wurde.

Dennoch haftet dem Wahlsieger vom vegangenen Sonntag das Etikett des politischen „Zwillingsbruders“ des noch regierenden Präsidenten an. Nicht nur, weil er während der ersten sieben Monate der Amtsperiode Aristides als Premierminister fungierte und diesem nach dem Staatsstreich vom 30. September 1991 ins Exil begleitete, sondern auch, weil er dessen sozialreformerische Pläne teilt.

Der 52jährige Agronom fiel schon als Student während der Diktatur von François Duvalier durch sein Engagement für die Reformkräfte auf. Als der Diktatorensproß Jean-Claude Duvalier im Februar 1986 gestürzt wurde, profilierte sich Préval als Mann der zweiten Linie in den Volksorganisationen.

Als Aristide vor fünf Jahren die ersten wirklich freien Wahlen in Haiti gewann, häten die USA gern einen Politiker mit moderaterem Ruf als Premierminister gesehen als Préval. Friktionen mit Washington und der mächtigen Wirtschaftsoligarchie waren daher eine Konstante während der kurzlebigen Regierung, die keine echte Chance hatte, die ehrgeizigen Reformpläne auch nur ansatzweise zu verwirklichen.

Haitis Wahlsieger René Préval Foto: AP

Anders als die Republikaner, die 1992 in den USA bei den Präsidentschaftswahlen unterlagen, kamen die Funktionäre der demokratischen Clinton-Regierung mit Préval glänzend zurecht.

Neben dem unberechenbaren Aristide galt er als ein Mann, mit dem sie sich über grundlegende Dinge verständigen konnten. Deswegen gab es seitens der US-Administration keine Bedenken, als Aristides Koalition „Ti René“, den kleinen René, aufstellte.

Allerdings machte sich Aristide auffallend wenig dafür stark, daß das Wahlvolk den neuen Mann akzeptierte. Er ermunterte bis zuletzt jene Gruppen, die forderten, daß ihr Präsident die durch den Staatsstreich verlorenen drei Jahre nachhole. Die katastrophal geringe Wahlbeteiligung von unter 30 Prozent kann zumindest teilweise auf diese Manöver zurückgeführt werden. Préval wird also ein Präsident mit äußerst schwachem Mandat sein, der ohne Aristides ausdrückliche Zustimmung wenig wird unternehmen. Ralf Leonhard