piwik no script img

Der bittere Geschmack der Havannas

Kubas Zigarren sind weltberühmt. Nun ist spanisches Kapital in das lukrative Geschäft eingestiegen. Für die Arbeiterinnen gibt's strenge Disziplin – und Prämien in Dollars  ■ Aus San Juan y Martinez Bert Hoffmann

Man sieht dem kleinen Ort nicht an, welche Reichtümer er birgt. San Juan y Martinez wirkt ruhig, um nicht zu sagen verschlafen. Die Straßen sind aus holprigem Kopfsteinpflaster, die einfachen Häuser seit langem ohne frischen Farbanstrich. Es gibt eine Kirche und am Ortseingang eine Kneipe, über der „Cabaret“ steht und die geschlossen hat. In der Mitte des Dorfes die Plaza und in der Mitte der Plaza ein Denkmal, wie es sich gehört. Doch seit die Spanier ins große Geschäft eingestiegen sind, hat auch in San Juan y Martinez die neue Zeitrechnung Kubas begonnen. Die Herrschaft des Dollars erreicht die Provinz.

Das große Geschäft, das ist hier nur eines, aber das schon seit Jahrhunderten: Tabak. In der klumpigen, rotbraunen Erde im Westen Kubas wird er angebaut. Hier kommen sie her, jene exquisiten Havannas, die der Karibikinsel weltweite Berühmtheit brachten, lange bevor Fidel Castro dies auf ganz andere Weise tun sollte.

Für ihre internationale Kundschaft verkörpern die teuren kubanischen Zigarren noble Eleganz und Distinguiertheit. In San Juan y Martinez ist man weit davon entfernt. Wohin man auch tritt, klebt der lehmige Boden an den Schuhen. Tabak ist hier die tägliche harte Arbeit: die Äcker zu bestellen und der festen Erde die empfindlichen Pflanzen abzutrotzen; die Blätter zum richtigen Zeitpunkt zu ernten und dann so zu trocknen, zu sortieren, zu schneiden, zu rollen, daß ein Produkt daraus wird, das einmalig ist, nicht nur sehr gut, sondern besser als jede andere Zigarre auf der Welt.

Kubas Tabak ist Landwirtschaft mit ganz großer Tradition. Die Fábrica de Tabacos in der Provinzhauptstadt Pinar del Rio wurde 1760 gegründet, im Namen des spanischen Königs, und sie ist bis heute in Betrieb. Und in Zeiten, in denen der kubanische Sozialismus Devisen braucht wie die Luft zum Atmen, sind die Tabakfelder von San Juan y Martinez wieder zu einem der großen Hoffnungsträger der Wirtschaft geworden. Dabei war auch hier der Fall tief: Stellte Kuba in den 80er Jahren noch 120 Millionen Zigarren pro Jahr her, waren es 1994 nicht einmal mehr die Hälfte. Es fehlt an Dünger und Ersatzteilen, an Treibstoff und Arbeitsmoral. Jetzt soll spanisches Kapital die Wende bringen.

Es sind ausschließlich Frauen, die hier in Viererreihen sitzen und die getrockneten braunen Blätter auf ihren Oberschenkeln sortieren, nach Farbton und Textur in 18 verschiedene Kategorien. „Männer“, sagt die Brigadeleiterin, „haben dafür nicht genug Gefühl!“

Der Lohn für Gefühl und Fingerfertigkeit jedenfalls geht direkt nach Leistung. Wer die Norm erfüllt, kommt auf 6,80 Pesos pro Tag. Die Besten schaffen das Doppelte. Früher war das viel Geld, heute nicht mal ein halber Dollar.

Tabacalera Espaola weiß, wie man Arbeitsmotivation schafft. Der spanische Konzern hat in einer der spektakulärsten Joint-venture-Vereinbarungen die kubanische Tabakproduktion unter seine Fittiche genommen. Tabacalera finanziert Ernte und Produktion, von den Reifen für die Traktoren bis hin zu den kleinen goldenen Nägelchen für die Zigarrenschachteln aus Zedernholz. Einkalkuliert sind auch Dollarprämien als Anreiz für die Tabakarbeiterinnen. Und die haben das Leben in San Juan y Martinez gründlich verändert.

Die Prämie bekommt natürlich nicht jede, und die Brigadechefin erklärt uns das System. Drei Bedingungen gibt es: Die Arbeiterinnen müssen die Produktionsnorm erfüllt haben; sie dürfen nicht mehr als insgesamt zehn Minuten Verspätung im Monat haben; und sie dürfen von den 24 Arbeitstagen des Monats keinen einzigen fehlen, aus welchem Grund auch immer. „Kein ärztliches Attest ändert da was dran!“ sagt die Leiterin der Brigade, und als Erfolgsmeldung: „Die Arbeitsdisziplin hat sich seitdem sehr verbessert, keine Frage!“ In ihrer Funktion geht der Übergang von sozialistischen zu kapitalistischen Werten nahtlos.

Bei den Arbeiterinnen in San Juan y Martinez jedenfalls dreht sich alles um die Dollars der Spanier. 60 Frauen waren sie in der Fabrik letztes Jahr. Als das Anreizsystem eingeführt wurde, wollten auf einmal 200 hier arbeiten. „Die Mädchen fangen jetzt schon mit 15 Jahren bei uns an“, erklärt die Brigadeleiterin. Nein, das ist keine Erfolgsmeldung, und sie tut auch nicht so, als ob es eine wäre. 15 Jahre, das war früher, vor der Revolution, ein ganz normales Alter, um in der Tabakfabrik anzufangen. Dann aber war die Alphabetisierung gekommen und die Schulen für alle, die Aussicht auf höhere Bildung und neue Berufe. Kubas tiefe Krise seit dem Zusammenbruch der sozialistischen Bruderstaaten vor sechs Jahren hat auch das Rad hier langsam, aber stetig zurückgedreht.

Die Brigadeleiterin war einst selbst so früh in die Tabakfabrik gekommen. „Natürlich“, sagt sie, „wollen die Mädchen heute wieder so schnell wie möglich arbeiten, alle brauchen ja das Geld. Auch Stipendien sind nicht mehr so leicht zu kriegen wie früher – und selbst wenn, reichen sie nicht mehr, um davon zu leben.“

So ist, seit es das Joint-venture mit den Spaniern gibt, die Arbeit in der Tabakfabrik höchst attraktiv geworden. Schließlich gibt es in der Provinz nur sehr wenige Möglichkeiten, an Devisen zu kommen. Anders als in Havanna oder Varadero verirren sich Touristen kaum hierher. Und auch die zweite große Dollarquelle im kubanischen Alltag, die Überweisungen von Verwandten im Ausland, sprudelt fern der Hauptstadt nur spärlich. Denn die kubanische Exilgemeinde stammt überwiegend aus Havanna; dorthin gehen die allermeisten Familienbande und also auch die Dollars aus Miami.

Für die Frauen in der Tabakfabrik jedenfalls ist die Prämie viel Geld, sogar wichtiger als der eigentliche Lohn. Je nach Leistung kann es eine gute Arbeiterin auf 15 Dollar bringen – im Monat. „Die beste hat neulich sogar 22 Dollar geschafft!“ berichtet die Brigadeleiterin. Stachanow im Billiglohnland. „Das Abkommen funktioniert fabelhaft“, schwärmt Tabacalera-Espaola-Präsident Pedro Prez. Mit Kubas Tabakproduktion geht's tatsächlich wieder aufwärts. Unter spanischer Regie wurde die Produktion 1995 um mehr als 30 Prozent gesteigert. Aber die sozialistische Heldin der Arbeit als extra billige Akkordarbeiterin für ausländische Konzerne bietet ein trauriges Bild.

Der alte Luis bekommt keine Dollars. Er ist Tabakbauer, so wie schon sein Vater Tabakbauer war und wie es auch sein Sohn sein wird. „Ich habe Glück“, sagt er, „mein Sohn ist nicht wie die anderen jungen Männer, die lieber an irgendeiner Straßenecke Süßkram für drei Pesos verkaufen!“ Vielleicht würde sein Sohn damit mehr verdienen, aber Tabakanbau, das ist für Luis eine Frage der Ehre. Es sind schließlich die besten Tabakböden der Welt. Und der kleine Hof, den man von Luis' Haus aus mühelos überschauen kann, ist sein ganzer Stolz, Familienbesitz, den sein Vater und er zäh durch alle Klippen sozialistischer Planwirtschaft gesteuert haben.

Luis gehört damit zu denen, die in Kubas Statistiken als „selbständige Bauern“ geführt werden. Beim Tabak, der sich noch nie für feudale Haziendas oder sozialistische Großbetriebe eignete, machen die Privatbauern noch heute fast die Hälfte der Anbaufläche aus. Aber mit seiner Selbständigkeit, flucht der Alte, ist es nicht weit her. Dabei will er nichts anderes als Tabak anbauen, und das ist auch, was der Plan ihm anzubauen vorschreibt. Aber – und wenn Luis es ausspricht, ist dieses „Aber“ ein Stoßseufzer – er bekommt viel zuwenig Dünger vom Staat, und woanders gibt's keinen; Insektizide und Fungizide teilt man ihm erst dann zu, wenn die Pflanzen bereits befallen sind; für das alte Trockenhaus, in dem die Tabakblätter aufgehängt werden, braucht er neue Holzbalken, aber die gibt's ja nirgends zu kaufen, höchstens schwarz und unterderhand, aber dann muß man ja auch noch den Transport organisieren.

Und auch wenn er die jungen Leute verachtet, die Vaters Hof im Stich lassen, um in Havanna für Touristen zu kellnern, so braucht doch auch der alte Bauer Seife und Unterhosen und sonst noch Sachen, die es nur in den Devisenshops zu kaufen gibt. Doch der Staat zahlt ihm für den geernteten Tabak natürlich nur Pesos. Auch der Joint-venture-Deal mit dem Konzern aus Spanien hilft Luis nicht weiter. Zwar sieht er für selbständige Bauern eine einmalige Jahresprämie von 100 Dollar vor, wenn sie ein bestimmtes Abgabesoll erfüllen. Doch wo das Auslandskapital dem sozialistischen Staat Agrarinputs finanziert, gehen diese ausschließlich an die Staatsbetriebe und Kooperativen, nicht an die freien Bauern. Und ohne ausreichenden Dünger ist das Abgabesoll praktisch unerreichbar hoch.

Der alte Luis träumt nicht von den 100 Dollar der Spanier, sondern von einem kubanischen Markt, auf dem er Dünger und Holzbalken, Seife und Arbeitsstiefel kaufen kann, mit dem Geld, das er durch den Tabakanbau verdient. Bis dahin aber muß er sich anders über Wasser halten: indem er Nahrungsmittel anbaut, für den Eigenverbrauch und als Dollar- Ersatz für den Schwarzmarkt. So hat er ein Stück seines Hofes abgetrennt und baut nun, auf den besten Tabakböden der Welt, Reis und Kochbananen an. Was soll er denn sonst tun?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen