„Dich auszuwickeln ist meine Arbeit“

Der deutsche Krimischreiber als solcher und die neuen „Berlin Crime“-Bände des Schwarzkopf Verlags  ■ Von Karl Wegmann

„Die Deutschen können keine Krimis schreiben“, behauptete der Spiegel einmal. Trotzdem tun sie es. Aber das Hamburger Montagsmagazin hat natürlich irgendwie recht: Zwischen US-amerikanischen oder englischen und deutschen Kriminalromanen liegen Welten.

Das zeigt sich besonders deutlich, wenn eine Stadt in den Geschichten eine Hauptrolle spielt. Seit Raymond Chandler („Die Straßen waren schwarz nicht vom Dunkel der Nacht allein...“) sind große Städte im englischsprachigen Kriminalroman als Schauplätze beliebt und wichtig. Was wäre zum Beispiel Andrew Vachss ohne seinen faulig stinkenden Big Apple, und die Autoren, die London als Tatort benutzen, können gar nicht alle aufgezählt werden. Aber auch in Kontinentaleuropa sind einige Metropolen eng mit großen literarischen Verbrechen verknüpft. Janwillem van de Weterings Amsterdam und Leo Malets Serie der „Geheimnisse von Paris“ sind präzise Momentaufnahmen vom Großstadtleben.

Der deutsche Krimischreiber tut sich da etwas schwerer. Zwar gibt's auch bei uns jede Menge Krimileben in den Städten, ja Mitte der achtziger Jahre boomten gar die Regionalkrimis, Scharen von Nachwuchsschreibern fielen über die Provinzkäffer her, aber die Verbrechen sind genauso austauschbar wie die Orte der Handlungen.

Wenn ich etwas über Barcelona wissen möchte, was nicht in jedem Reiseführer steht, sind Andreu Martins Krimis nicht die schlechteste Wahl, wenn ich dagegen Bonn kennenlernen will, kann ich Christine Gräns Anna-Marx-Geschichten noch so aufmerksam studieren, es entsteht kein Bild. Nicht anders verhält es sich mit der neuen alten Hauptstadt. All die sozialdemokratischen Krimis von Vielschreiber -ky- oder auch die frechen Geschichten einer Pieke Biermann vermitteln kein Gefühl für diese Stadt.

Der Berliner Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag will das ändern. In seiner „Berlin Crime“- Reihe soll endlich die Hauptstadt eine tragende Rolle übernehmen. Soeben sind Band 17 und 18 der Serie erschienen. Nummer 17 ist Jürgen Ebertowskis „Berlin Oranienplatz“. Wer jetzt allerdings hofft, etwas über diesen berühmten Kreuzberger Platz zu erfahren, wird enttäuscht. Die Geschichte könnte ebensogut am Neuköllner Hermannplatz oder aber auch gleich in einer ganz anderen Stadt spielen.

Wer den Oranienplatz nicht kennt, lernt ihn auch nicht kennen, und wer ihn kennt, erkennt ihn nicht wieder. Da mag die Verlagswerbung noch so blumig von den „kosmopolitischen Elementen des Berliner Großstadtdschungels als Folie für eine Kette von organisierten Verbrechen internationalen Kalibers“ labern, es hätte genausogut Frankfurt oder Hamburg sein können. Die „Fäden aus Japan, Holland und Polen laufen im Himmel über Berlin zusammen“, behauptet der Klappentext, und der Autor spricht schwammig von der Stadt als „rauhe Welt der Sachzwänge“ – allein, die Geschichte ist mehr als unglaubwürdig.

Da versucht also die japanische Mafia in Berlin Fuß zu fassen. Nicht etwa im Drogen-, Porno-, Glücksspiel- oder Immobiliengeschäft, nein im Autoknackermilieu. Sie läßt von polnischen Automardern Luxuskarossen klauen und sie von einem holländischen Spediteur nach Nippon schaffen. Dabei werden ein paar Kreuzberger Jungs abgeknallt, Handgranaten explodieren, und Kampfsportexperten mit verschiedenfarbigen Gürteln kommen ausgiebig zu Wort.

Doch fernöstliche Philosophie und Schlägerkunst kann die Story nicht retten. Die Protagonisten sind flach gezeichnet, und die dünne Handlung muß immer wieder mit haarsträubenden, in ihrer Unglaubwürdigkeit fast komisch wirkenden, Szenen weiter getreten werden. Kein Lesevergnügen.

Frank Goyke dagegen hat mit „Dummer Junge, toter Junge“ einen Whodunnit-Krimi geschrieben: Der sechzehnjährige Schüler Stanko Poljic wird zur Weihnachtszeit im Keller einer Weddinger Realschule tot aufgefunden. Wer war's? Sein Mitschüler Dennis vielleicht? Möglich, macht er doch seiner Mutter („Ein ganzes Leben war man dazu verdammt, noch den allermißratensten Sohn bis zum Aberwitz zu lieben“) nichts als Schwierigkeiten.

Oder doch der vorbestrafte Hausmeister? Hauptkommissar Dietrich Kölling und seine Truppe suchen und wühlen. Die Geschichte ist, obwohl Goyke manchmal arg geschwätzig daherkommt, spannend. Und auch die Milieuschilderung ist farbig und durchaus glaubwürdig. Nur die Zusammenstellung der Truppe der Kriminalisten bietet eine breite Angriffsfläche. Ohne politisch korrekt sein zu wollen – aber muß unbedingt der schwule Polizist der Trottel der Truppe sein. Und warum muß Frau Polizistin als männerfressendes Monster (Scher dich aufs Bett“, befahl die Blissow, „dich auszuwickeln ist meine Arbeit“) dargestellt werden. Originell? Nein. Effekthascherei! Trotzdem, Goykes Krimi hat was. Es ist zumindest eine echte Berliner Geschichte.

Jürgen Ebertowski: „Berlin Oranienplatz“, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 182 S., 14,80 DM

Frank Goyke: „Dummer Junge, toter Junge“, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 187 S., 14,80 DM