Anlaß für ein bißchen Klassenkampf

Streik oder Streit? Personalkosten eines Theaters machen rund 80 Prozent des Etats aus. Wenn nicht hier sparen, wo dann? Den Berliner Theatern steht eine Abkehr vom Tarifsystem bevor  ■ Von Kolja Mensing

„Wenn wir im Premierenstreß sind, wird bei uns auch morgens um vier noch geschweißt.“ – Die Nachteinsätze der Bühnenarbeiter am Schloßparktheater, von denen der Dramaturg Michael Schindlbeck begeistert erzählt, müßten seine Kollegen an den großen Berliner Bühnen vor Neid erblassen lassen. Dort wettert man seit Jahren gegen die starren Bindungen der Tarifverträge, die gegen den Willen von Belegschaft, Betriebsrat und Gewerkschaften nicht geändert werden können.

Doch die Debatte läuft an: Berliner Politiker und Theaterleiter sind sich einig, die Beschäftigten bereiten sich auf Auseinandersetzungen vor. Und die Gewerkschaften bekommen kalte Füße, denn ihre Meinung dürfte bald kaum noch gefragt sein.

Theater muß wirtschaftlicher werden, und das Berliner Theaterfinanzierungskonzept, das die staatlichen Bühnen in die Betriebswirtschaftlichkeit entlassen hat, reicht da nicht aus. Effektives Wirtschaften, verkündet Kultursenator Roloff-Momin, heiße auch, Tarifballast abzuwerfen. Die Personalkosten machen rund 80 Prozent im Etat eines Hauses aus – wenn nicht hier sparen, wo dann? Anscheinend steht jedoch weniger eine Reform als eine Abkehr vom Tarifgefüge bevor. Bundeseinheitliche Regelungen, die der Deutsche Bühnenverein einst anstrebte, sind gescheitert. Jetzt sind Einzellösungen für die Theater gefragt und werden auch von der Senatsverwaltung propagiert. Nicht überall ist die Belegschaft dazu bereit.

In der Schaubühne beispielsweise hält die Kulturkrise ein gewisses Klassenkampfpotential bereit: Auf der letzten Betriebsversammlung im November kündigte Direktor Jürgen Schitthelm an, die engen Regelungen der mit den Gewerkschaften ausgehandelten Verträge aufzubrechen. BühnenarbeiterInnen, TontechnikerInnen oder MaskenbildnerInnen sollen unter anderem geteilten Dienst leisten.

Sie könnten dann morgens und abends eingesetzt werden, mit einer mehrstündigen Unterbrechung am Nachmittag. Bezahlte Pausen oder die Anerkennung des Dienstes während einer Vorstellung als ganze Schicht möchte Schitthelm aus den Verträgen werfen. Ein Streik gegen dieses Vorhaben, so soll der Schaubühnen-Chef gesagt haben, sei sinnlos – selbst die SPD sei auf seiner Seite.

Soweit die Informationen von seiten des Betriebsrates. Jürgen Schitthelm, der im letzten Jahr einen Streik um Lohnerhöhungen an seinem Haus auszustehen hatte, gibt sich gelassen – und dementiert: „Wir stehen schließlich noch vor den Verhandlungen. Ich habe überhaupt noch keine konkreten Vorschläge gemacht. Und nicht einmal im Zustand der Volltrunkenheit würde ich das Wort ,Streik‘ in den Mund nehmen.“

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Böger unterstützt Schitthelms Vorhaben dennoch: „Tarifreformen sind absolut notwendig. Ich verstehe die verhärtete Position der Gewerkschaften nicht. Die blockieren jeden Fortschritt.“ Ob Streik oder Streit: Möglicherweise kommt es gar nicht zu größeren Auseinandersetzungen. Bedeutsamer als die große Sparkoalition auf Parteienebene ist nämlich die weitgehende Bereitschaft vieler Theaterbediensteten zu einer flexiblen Arbeitsgestaltung.

Die Vereinbarungen am Berliner Ensemble, das seit Anfang 1993 als private GmbH geführt wird, sind den zuständigen Gewerkschaften daher auch ein Dorn im Auge. Nachdem die Verhandlungen mit der IG Medien erfolglos verlaufen waren, schloß die GmbH mit ihren Angestellten eigene Arbeitsverträge ab. Für das BE als privates Wirtschaftsunternehmen (das jedoch vom Land mit etwa 23 Millionen Mark subventioniert wird) entfällt die harte Tarifbindung des öffentlichen Dienstes. Im Einverständnis mit den Angestellten werden die Gewerkschaften außen vor gelassen.

Tatsächlich argumentiert der Betriebsrat vor Ort für freiere Arbeitsgestaltung: Technische und handwerkliche Arbeit an einem Theater seien nicht mit der Arbeit in einem normalen Industriebetrieb vergleichbar und die Arbeitszeitregelungen müßten an die Bedingungen der künstlerischen Produktion angepaßt werden. Konkret heißt das, daß die Angestellten am BE fortan ihre Arbeitszeit nicht mehr pro Woche, sondern pro Quartal verrechnen – kurz vor einer Premiere kann ein Arbeitstag dann bis zu zwölf Stunden dauern. Die Überstunden werden in den folgenden Wochen gutgeschrieben.

An kleineren Privatbühnen wie dem Schloßparktheater sind außertarifliche Arbeitsregelungen gang und gäbe. Auch am großen Subventionstheater kündigt sich ein Trend weg von tariflich gesicherten Vereinbarungen an. Die Gespräche, die SPD und Gewerkschaften in den kommenden Wochen zu diesem Thema angesetzt haben, sind möglicherweise nur noch für die kleine Zahl der Bühnen von Bedeutung, die ganz in öffentlicher Hand sind – wie das Deutsche Theater. Für die GmbHs und andere private Schauspielhäuser bleibt der Ausstieg aus dem Tarifgefüge die einfachste und billigste Lösung – wenn die Belegschaft mitzieht. Wenn es nach den Vorschlägen der Senatsverwaltung geht, sollen die letzten staatlichen Theater möglichst schnell in GmbHs umgewandelt werden.

Auch wenn zum Beispiel der Betriebsrat an der Schaubühne heftig gegen die geplanten Veränderungen protestiert: Eine große Zahl von Beschäftigten an diesem und anderen Theatern wird sich dem Holzhammer-Argument „sparen oder schließen“ kaum widersetzen können. Der Sparkurs der Großen Koalition hat in der Verbindung von Kulturinstitutionen und Marktwirtschaft eine Eigendynamik entwickelt, die kaum noch zu bremsen ist. Bühnenreferatsleiter Richard Dahlheim vom Kultursenat sieht die Probleme, setzt aber klare Prioritäten: „Die anstehenden Reformen tun uns unter sozialem Aspekt weh – wichtiger ist aber, daß die künstlerische Substanz erhalten bleibt.“