: Ein Denunziant im Kanzleramt
■ Schmidbauer verleumdet Außenamtsmitarbeiter. Jetzt will Kohl ihn vor dem Plutoniumausschuß sehen
Bonn (taz) – Jetzt macht sogar der Kanzler Dampf. Am 18. und 19. Januar sollen Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer und BND-Chef Konrad Porzner vor den Plutonium-Untersuchungsausschuß. Denn auch Helmut Kohl, so hört man intern, wird das Treiben der Geheimdienstleute unheimlich. Mit Recht: Auf seiner Pressekonferenz in der vergangenen Woche hat Kanzleramtsminister Schmidbauer sogar gelogen und mit stasiähnlichen Methoden Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes diskreditiert. Das belegen Recherchen der taz. Der Aussage Schmidbauers vor dem U-Ausschuß müssen jetzt noch die Obleute in demselben zustimmen.
Schmidbauers Opfer ist Claus Auer, ein „Vortragender Legationsrat“ aus dem Außenministerium. Auer hatte am 11. Oktober 1994 nach einem zweitägigen Kolloquium des BND einen fünfseitigen Bericht verfaßt. Thema war der illegale Plutoniumhandel. Kopien gingen an 28 Stellen, darunter „MB“, das Ministerbüro. Am 13. Dezember wurde öffentlich, was Auer über die Beschlagnahme der 363 Gramm Plutonium am Flughafen München am 10. August 1994 schreibt: „Problematisch ist dabei, daß dieser Fall – auch nach eigener Darstellung des BND – von unseren Diensten nicht nur aufgedeckt, sondern weitgehend herbeigeführt wurde.“ Im Kanzleramt brach ein Sturm der Entrüstung los, um Auer unglaubwürdig zu machen.
So verbreitete Staatsminister Schmidbauer am letzten Freitag schriftlich: „Ich bin informiert, daß dieser Mitarbeiter mit den Vorgängen in München nicht näher befaßt war und auch keine Kenntnisse über die Akten hatte.“ Schützenhilfe kam vom Nachrichtenmagazin Focus, das diese Woche schrieb, Auer habe nur bei „Häppchen und Bier mit zwei BND-Mannen geplaudert“, so als verbreite der Beamte Stammtischgeschwätz. Dabei ist Auer ein Insider, und Schmidbauer müßte das wissen. Denn Auer, sein Referatsleiter Blankenstein und der Unterabteilungsleiter Scharinger, der den Bericht unterzeichnet hat, gelten als Spezialisten der Abteilung 411 des Außenministeriums – zuständig für die Abteilung Nichtverbreitung von Kernmaterial, Euratom und friedliche Nutzung der Kernenergie.
Über Auers Bericht hat der Unterabteilungsleiter Ritter von Wagner sogar „sehr gut“ geschrieben. Die Materie kennt der Referent ausgezeichnet, denn mindestens dreimal hat er den Plutoniumausschuß besucht. Seine Unterschrift steht auf Anwesenheitslisten. Ferner unterrichtete er sechs Tage nach dem Auffliegen des Deals in München seinen Staatssekretär über „die heutige nachrichtendienstliche Runde (Leitung StMin Schmidbauer)“ im Kanzleramt zum Thema Plutoniumschmuggel: „An der Aufdeckung war der BND maßgeblich beteiligt.“
Am 17. August schrieb Auer unter Az. 431-466.42 sogar den Sprechzettel Kinkels für die Kabinettssitzung zum „Plutoniumschmuggel“. Einen Tag später folgten ein Sachstandsbericht und ein Gesprächsführungsvorschlag für ein Treffen Kinkels mit dem französischen Außenminister in Bordeaux, Thema ebenfalls: „Plutoniumschmuggel“. Laie kann Auer also nicht gewesen sein. Mit Verweis auf seinen Beamtenstatus wollte Auer gestern gegenüber der taz keine Stellungnahme abgeben. Ein Pressesprecher Kinkels wies die taz aber darauf hin, daß Auer vor dem Plutonium- Untersuchungsausschuß keinerlei Redebeschränkung hat. Mehr wolle man derzeit nicht sagen. Intern war im Außenministerium zu erfahren, sei die Verständnislosigkeit für Schmidbauers panisches „Wortgefecht“ groß. Holger Kulick Seite 2
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