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Es stinkt hinter der touristischen Fassade

Tunesien beweist: Der Aufstieg der Islamisten läßt sich stoppen. Statt dessen herrscht Diktatur  ■ Aus Tunis Sibylle Rodschantzky

Er tut so, als wolle er im Vorübergehen nur so ein bißchen plaudern. Moncef Marzouki, ehemaliger Vorsitzender der tunesischen Menschenrechtsliga (LTDH), hat für das Gespräch einen dunklen Gang in einem Mehrfamilienhaus ausgewählt. Von draußen kommt der Lärm der nachmittäglichen Rush-hour in der tunesischen Hauptstadt Tunis.

Doch der Plauderton mißrät dem Medizinprofessor und Menschenrechtsaktivisten gründlich. Es waren nämlich Leute im Haus, die er nicht kennt. So bleibt der Eindruck von Angst und Unruhe. Marzouki wurde im Februar vergangenen Jahres festgenommen und vier Monate in Haft gehalten, weil er – so die Anklage – die tunesische Justiz in einem Interview mit einer ausländischen Tageszeitung beleidigt habe.

Kurz vor seiner Festnahme hatte Marzouki seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen vom März 1994 in Aussicht gestellt. Er habe in dem Interview nur sein politisches Programm vorgestellt, sagt Marzouki, aber „das kann hier nur der Präsident“. Auf internationalen Druck hin wurde der Mediziner gegen Kaution aus der Haft entlassen. Die Wahlen waren natürlich längst gelaufen: Präsident Zine El Abidine Ben Ali wurde am 20. März 1994 nach offiziellen Angaben mit 99,9 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Ben Ali war der einzige Kandidat, nachdem auch der zweite mögliche Mitbewerber, der Rechtsanwalt Abderrahmane Hani, verhaftet worden war.

Marzouki blieb danach nicht mal sein Posten als Präsident der Menschenrechtsliga; den mußte er räumen – wie er glaubt, auf Druck der Regierung. Sein Nachfolger Taoufik Bourgabala gilt als kompromißbereiter.

Im vergangenen November schätzte amnesty international die Zahl der politischen Gefangenen in Tunesien auf rund 2.000; die Mehrheit von ihnen sei gewaltlos. Westliche Diplomaten halten die Zahl für übertrieben. Nur: andere Zahlen gibt es nicht. Wegen der wiederholten Vorwürfe hat Präsident Ben Ali eine Menschenrechtskommission eingesetzt, und die hat einen Bericht erstellt. Auf die telefonische Anfrage, ob und wann dieser Bericht veröffentlicht werde, antwortet der Kommissionsvorsitzende Rachi Driss empört: „So spricht man nicht über Dinge, die für den Präsidenten der Republik bestimmt sind.“ Bleiben die Vorwürfe von amnesty: Ungerechtfertigte Verhaftungen, Mißhandlungen und Folter hätten seit 1994 deutlich zugenommen. Presse- und Meinungsfreiheit seien bis zur Unkenntlichkeit beschnitten.

Das bestätigen viele tunesische Intellektuelle. Ihre demokratischen Freiheiten hätten sie bereits seit Anfang der 90er Jahre Stück für Stück verloren, berichten sie einhellig. Im vergangenen Jahr habe der Druck noch einmal spürbar zugenommen. Jetzt lähme die Angst vor Repression das intellektuelle Leben.

Die Sicherheitskräfte verfolgen offiziell vor allem Mitglieder oder Anhänger der islamistischen Bewegung „Ennahda“. Zunehmend würden auch Familienangehörige und Freunde der tatsächlichen oder mußmaßlichen Islamisten verhaftet, kritisiert amnesty. „Wir leben wie in einem Schraubstock, der immer mehr zugedreht wird“, bestätigt der Bruder einer Ehefrau eines mutmaßlichen „Ennahda“- Mitgliedes. Seine Schwester sitzt seit Monaten im Gefängnis. Die Anklage: Sie habe die verbotene Organisation unterstützt. „Sie trug manchmal ein Kopftuch“, sagt ihr Bruder, „das war alles.“ Er selbst werde jetzt auch immer mal wieder von der Polizei mitgenommen und gefoltert. „Die wollen wissen, wo mein Schwager ist“, erklärt er, „aber ich weiß es nicht.“

Noch 1989 durften „Ennahda“- Anhänger an den Kommunalwahlen als unabhängige Kandidaten teilnehmen. In manchen Vororten bekamen sie 30 Prozent, landesweit etwa zwölf. Daraufhin wurde die Organisation verboten. Ihre Mitglieder sitzen heute im Gefängnis oder leben im Exil. „Tunesiens Zukunft heißt nicht Gottesstaat“, titelte die tunesische Regierung im November ihre halbseitige Anzeige im Wirtschaftsteil einer Schweizer Zeitung. Attentate und Bürgerkrieg wie im benachbarten Algerien könnten die guten wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Tunesien und Europa zerstören.

Im vergangenen Jahr kamen erstmals mehr als vier Millionen Urlauber nach Tunesien, 750.000 davon waren Deutsche. In der Tourismusbranche arbeiten mehr als eine Million der knapp neun Millionen Tunesier – eine wichtige Zahl in einem Land, in dem die Arbeitslosigkeit schon offiziell bei 15 Prozent liegt. Die Bomben von Islamisten könnten diesen Wirtschaftszweig schwächen. Wichtige Arbeitgeber sind auch rund 180 deutsche Firmen, die in dem nordafrikanischen Staat Textil-, Leder- und Elektronikartikel herstellen. Die Unternehmen lassen sich von Steuervergünstigungen und den günstigen Arbeitskosten locken: Die Stundenlöhne liegen zwischen 1,20 Mark und 2,50 Mark, die Lohnnebenkosten sind gering. Und rund 80 Prozent des tunesischen Außenhandels entfallen auf die Europäische Union. Im vergangenen Sommer wurde ein Freihandelsvertrag unterschrieben, wonach die Handelsschranken zwischen dem nordafrikanischen Staat und der EU ab dem Jahr 2009 fallen sollen.

Ben Ali stößt deshalb in Europa kaum auf Widerstand, wenn er das repressive Verhalten der tunesischen Justiz, der Sicherheitskräfte und Folterknechte mit der Angst vor „algerischen Verhältnissen“ erklärt. Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Mittel wagt im Land kaum jemand öffentlich zu äußern. Zu den wenigen Ausnahmen gehört eine Rechtsanwältin, die in der tunesischen Frauenbewegung und in Menschenrechtsorganisationen aktiv ist: „Daß die Regierung alles verbitet, weil sie angeblich gegen den Islamismus kämpft, ist für mich nur ein Alibi“, sagt sie. „Ich habe immer gegen die Fundamentalisten demonstriert, aber jetzt, wo sie selbst zu Opfern geworden sind, kann ich nicht mehr gegen sie auf die Straße gehen.“

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