: Leben in Nachtclub und Keller
Istanbul zieht Transvestiten und Schwule aus allen Regionen der Türkei an. Hier sind sie zwar auch ausgegrenzt, stehen aber nicht unter der Kontrolle der Familie. Manche führen ein Doppelleben ■ Aus Istanbul Günter Seufert
Hülya wohnt im zweiten Kellergeschoß, ein ganzes Stockwerk unter der Straße. Es ist die billigste Wohnung im fünfstöckigen Mehrfamilienhaus. In solche Löcher ohne Fenster zwängen sich in Istanbul sonst nur die Familien der anatolischen Hausdiener.
Es ist Sonntag vormittag. Der Morgenmantel läßt Hülyas ausladende Hüften ahnen, und man sieht, daß sie stolz auf ihren prallen Busen ist; doch breite Schultern hat die Frau. Auch Hülya kommt aus Anatolien, genauer gesagt aus Rize an der Schwarzmeerküste, dem vielleicht konservativsten und frömmsten Landstrich in der Türkei. Auf der hellblauen Tapete im Wohnzimmer wachsen die Blumen nach unten, der Kamin ist hellgrün bemalt – hellblau und hellgrün, die traditionellen Farben der anatolischen Häuser.
Vor sieben Jahren kam Hülya zum ersten Mal nach Istanbul, da war sie gerade 30 und „ein Kerl, dem die Frauen nachliefen“ – sagt sie heute. Doch das war ihr relativ egal. Sie lacht: „Bei der Ankunft in Istanbul trug ich Hosen und bei der Abfahrt einen Rock.“ 2.500 Mark hat sie für die Geschlechtsumwandlung bezahlt, drei Monatsgehälter eines Lehrers. „Eigentlich nicht viel“, meint sie, „wenn man bedenkt, daß der Arzt damit seine Zulassung riskierte.“
Ihre Eltern kamen vom Balkan an die Schwarzmeerküste und sie ist blond, nein, kein Wasserstoff – Natur. Das ist gut fürs Anschaffen und damit gut für Hülya; eine andere Arbeit gibt es für Transvestiten in Istanbul nicht. „Gelbe Haare bringen gelbes Gold“, sagt sie und klappert mit den goldenen Armreifen; sie sind ihre Krankenkasse und Altersversorgung. Schon als Mann hat sie in Nachtclubs gearbeitet. Sie war Kellner und Rausschmeißer, prügelte sich gerne, war verheiratet und stolz auf ihren Sohn. Der ist heute 13, lebt seit zehn Jahren bei ihrem Bruder in Rize, weiß von nichts und sagt Tante zu ihr. „Das tut schon weh, manchmal“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. Dann lacht sie wieder: „Gut, daß ich meine Brüder habe. Wir waren vier Jungen, jetzt haben die anderen drei wenigstens eine Schwester.“
Ohne die Familie geht nichts in der Türkei, und Hülya hat sich in Istanbul eine neue organisiert. Seit drei Monaten lebt Körpe bei ihr, Transvestit wie sie und der jüngste Anschaffer im Nachtclub. Er hat sich die Haare rotblond gefärbt und läuft jetzt in Nylonstrümpfen durch die Wohnung. Räumt die Aschenbecher leer, zieht die Sofadecke glatt und kümmert sich um den Tee. Gerade 19 Jahre alt ist er und hat seine Operation noch vor sich. An ihm entdeckt Hülya neben einem Vater- auch ihr Mutterherz. „Ich bin jetzt ganz Frau“, sagt sie, „ich kann gut Wäsche waschen, Essen machen und Männer verhauen.“
Doch zwei Frauen allein, ganz ohne Beschützer, das geht schlecht in Istanbul. Vielleicht dringt deshalb ein lautes Schnarchen aus dem Schlafzimmer, solange jedenfalls, bis Müdür ins Wohnzimmer kommt, sich die verschlafenen Augen reibt und uns Eindringlinge böse mustert. Von Hülya beruhigt, wird er gesprächig. Er sei Gangster, eröffnet er uns, und er sagt es, als wäre es das Normalste von der Welt. Nach Istanbul kommt er der Arbeit – er ist in Sachen Schutzgeld tätig – und der Liebe wegen, hier kann er schwul sein. In Ankara, wo er wohnt und seine Familie hat, gilt er als Saubermann, der sich für seine Söhne beide Beine ausreißt. „Auf eine Art ist er mit mir verwandt“, sagt Hülya, die große Stücke auf ihn hält. Er hilft ihr, ist wie ein Bruder zu ihr, und weil er ein Mädchen aus dem Nachtclub geheiratet hat, ist er obendrein so etwas wie ihr Schwiegersohn. Nein, nicht ihr Geliebter, der ist gerade mal 25 und pennt auf der Couch. Heute ist Sonntag, und sonntags bleibt der Nachtclub zu. Ob Freier oder Hure, der Sonntag gehört der Familie.
Die anderen sechs Tage wird gearbeitet, im Nachtclub, der sich Jachtclub nennt. Das Geschäft ist kein Zuckerschlecken. „Du trägst ständig den Kopf unterm Arm“, meint Hülya, will heißen: Du stehst mit einem Bein im Grab. „Freier sind wie alle anderen auch“, sagt Körpe. „Wenn sie ihren Spaß gehabt haben, treten sie nach dir. Du bist für sie der letzte Dreck.“ Hülya macht es am liebsten mit älteren, reiferen Männern: „Die jungen beherrschen sich nicht, die werden schnell brutal.“
Pariser benutze sie natürlich und natürlich immer, sagt sie, und dann schränkt sie ein, nur, wenn der Mann von hinten kommt. Von vorne sei es ungefährlich, da könne nichts passieren. „Man muß nur aufpassen – in der Operationsnaht setzt sich leicht was fest.“
In der Istanbuler Innenstadt gibt es für die Transvestititen kaum Ärger. Im Treppenhaus und auf der Straße zieht Hülya sich ein Kopftuch über und einen langen Mantel. Das wirkt züchtig, und das machen die Frauen alle, wenn sie gegen Morgen den Club verlassen. „Die Leute hier munkeln hinter meinem Rücken, doch sie lassen mich in Ruhe“, sagt sie. Mit der Polizei ist es nicht ganz so einfach. „Bisweilen schleppen sie dich erst auf die Wache und dann ins Krankenhaus, und der Arzt muß einen Bericht darüber schreiben, ob du operiert worden bist. Zwei Tage später lassen sie dich wieder laufen.“ Polizei – das ist das Stichwort für Müdür, der kennt sie gut, dreimal schon war er wegen Körperverletzung im Knast. Er sagt: „Wenn du einen Puff hast, dann gehst du morgens auf die Wache und löhnst, und dann gehst du abends hin und bezahlst die Kollegen vom Nachtdienst – dann hast du Ruhe, aber keine Garantie. Vielleicht mischen sie dich am nächsten Morgen trotzdem auf, und dann schämen sie sich nicht, schon am Abend wieder die Hand aufzuhalten.“
Körpe bringt frischen Tee und schenkt ein. Hülya verzieht skeptisch ihr Gesicht. „Der hat keine weibliche Figur, aus dem wird keine Frau“, meint sie, „außerdem hat er noch viel zu viel Spaß an seinem Pimmel.“ Da könne man noch gar nichts sagen. „Er ist wie ein Aufzug“, lacht Müdür und wirft einen Löffel nach ihm, „fährt ständig hin und her zwischen Mann und Frau.“ „Dem muß man ja sogar in die Beine Silikon spritzen“, setzt Hülya noch eins drauf. Sie weiß, wovon sie redet. Ihr Hintern ist generalüberholt, und auch in den Wangen hat sie schon Silikon. Bereut hat sie die Operation noch nie. „Danach waren Körper und Gefühl endlich im Einklang“, sagt sie. Sie vermißt den Penis nicht. Nur schade, daß man sich nicht mehr einfach an die Mauer stellen kann, wenn's wirklich dringend ist.
Es war ein langer Weg, eine Frau zu werden. Weil die Mutter bei der Geburt starb, wurde der Junge auf den Namen Savasch getauft, das heißt Krieg – er hatte die Mutter besiegt. Eine elende Kindheit muß es gewesen sein, mit Betteln und Kaugummiverkauf. Als er zwölf war, hatte er die ersten Freier, und mit 14 fing es an, ihm Spaß zu machen. Dann 16 Jahre hin- und hergerissen, zwischen Mann-Sein und Frau-Werden.
Auch jetzt sind die Aussichten nicht rosig. „Noch bin ich schön“, sagt sie, „aber wie lange?“ Wer es in der aktiven Zeit zu keiner eigenen Wohnung bringt, der landet in der Gosse. Als Putzfrau zu arbeiten, kann dann schon ein Aufstieg sein. Doch noch läuft das Geschäft. Auch der Bürgermeister der islamistischen Wohlfahrtspartei konnte daran nicht rütteln. „In Konya haben sie die Bordelle dichtgemacht“, sagt Müdür, „hier in Istanbul geht das nicht, das Volk vergreift sich sonst an ihren Frauen.“ Ob es daran liegt oder am Umsatz, von dem so viele profitieren?
Wohlfahrtspartei hin, Wohlfahrtspartei her, auch Hülya ist natürlich Muslimin. „Gott sei Dank!“ sagt sie und schenkt uns zwei Bücher der Zeugen Jehovas, da stünde drin, wie man richtig lebt, auch ohne zur Moschee zu gehen.
So ausgegrenzt sie sind, sie sind stolz auf ihr Land und ihre Gastfreundschaft und besorgt über die Lage der Türken in Deutschland. Dabei seien doch die Deutschen und die Türken Brudervölker und müßten sich verstehen.
Der Tee ist alle. Körpe geht zum Laden an der Ecke, holt Trinkwasser und kauft Plätzchen. Sie hat schon wieder keinen Schlüssel mitgenommen, und als sie klingelt, schreit Hülya: „Du Hurenkind, was läßt du mich immer rennen!“ Sie setzt sich wieder hin und holt tief Luft: „Jetzt ist der Mann in mir doch wieder durchgebrochen“, sagt sie, schlägt die Beine unter, rückt das Kopftuch zurecht und lehnt sich zurück – ganz Frau auf dem Diwan.
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