: Angestellte ohne Gehalt, geschlossene Türen bei den Behörden, wachsender Frust in der Gesellschaft. Seit zwei Wochen legt der Haushaltsstreit in den USA die Clinton-Regierung lahm. Dieses Wochenende wollen Washingtons Politiker verhandeln
Angestellte ohne Gehalt, geschlossene Türen bei den Behörden, wachsender Frust in der Gesellschaft. Seit zwei Wochen legt der Haushaltsstreit in den USA die Clinton-Regierung lahm. Dieses Wochenende wollen Washingtons Politiker verhandeln
Supermacht in Ohnmacht
Jim Thomas ist sauer. Normalerweise schleppt der Leiter des „Nationalen Elch-Refugiums“ im US-Staat Wyoming um diese Jahreszeit 1.000 Besucher täglich auf Pferdeschlitten durch den Schnee, damit sie die Herden der seltenen Tiere beäugen können. Aber jetzt hängt er zu Hause am Telefon und muß seinen Gläubigern erklären, warum er pleite ist.
Jim Thomas hängt von einem Vertrag der US-Bundesregierung ab – und die hat aufgrund des Haushaltsstreits zwischen Präsident Clinton und dem Kongreß alle Nationalparks geschlossen. Die zwölf Mitarbeiter des „Elch- Refugiums“ sind arbeitslos, die sieben Schlitten stehen nutzlos in der Garage. „Wenn sie das Refugium nicht bis zum 1. Januar wieder aufmachen, weiß ich nicht mehr, was ich machen soll“, schimpft der Wildhüter.
Zwei Wochen schon sind wichtige Abteilungen der US-Bundesregierung dicht. 280.000 Staatsbedienstete sind zwangsbeurlaubt, 480.000 weitere sind für Notdienste zwangsverpflichtet, und alle zusammen entdecken in diesen Tagen auf ihren Gehaltsabrechnungen, daß sie seit dem 16. Dezember nicht mehr bezahlt worden sind. Ausländer bekommen kein Visum, Amerikaner keine Reisepässe. Das Büro für Indianerangelegenheiten und die Gesundheitsbehörde „Medicare“ können ihre Vertragspartner nicht mehr bezahlen.
130 Krebsforscher drehen Däumchen, weil das Nationale Gesundheitsinstitut zugemacht hat und ihre bereits bewilligten Stipendien nicht auszahlt. Zum Neujahrstag werden in sechs Bundesstaaten die von Washington finanzierten Ämter für Arbeitssicherheit schließen, 17 Bundesstaaten müssen die Förderprogramme für Kleinunternehmer einstellen. Am kommenden Dienstag wird dem landesweiten „Superfund“-Programm zur Giftmüllentsorgung das Geld ausgehen. Fällige Erhebungen zur Erstellung von Arbeitslosenzahlen und Inflationsraten werden nicht vorgenommen. „Das wird amerikanische Unternehmen, die sich auf diese Zahlen verlassen, sowie die Finanzmärkte massiv stören“, warnte am Donnerstag Arbeitsminister Robert Reich. „Es geht um die gesamte Wirtschaft.“
Bisher taten viele Amerikaner den Haushaltskonflikt als kleinkariertes Gezänk zwischen nutzlosen Politikern in der fernen Hauptstadt Washington ab. Das geht nun nicht mehr. In den letzten Wochen hat sich der obskure Zahlenstreit in das erste politische Kräftemessen des beginnenden Wahlkampfes verwandelt. Die Weihnachtspause hat die Auswirkungen verschärft, während die Politiker gleichzeitig in den Urlaub verschwanden.
In der Zwischenzeit steigt der Frust: „Ich hasse Clinton, ich hasse die Republikaner, ich hasse die Demokraten, ich hasse sie alle“, sagt Gertrude Weaver, eine zwangsbeurlaubte Mitarbeiterin des Gesundheitsministeriums. Ihre Kirchengemeinde mußte ihr 100 Dollar leihen, um die Heizungsrechnung zu bezahlen, und ihrem Sohn konnte sie zu Weihnachten nur „einen Kaffeebecher und zwei Taschentücher“ schenken.
US-Diplomaten in Südamerika haben bei der Hausgewerkschaft des US-Außenministeriums Protest dagegen eingelegt, daß geplante Auslandsreisen von Kongreßabgeordneten trotz der Krise nicht abgesagt werden: „Während amerikanische Schulkinder vor geschlossenen Museen, Parks und Denkmälern stehen, freuen sich gewisse Kongreßmitglieder auf exotische Reize wie die Copacabana.“
Langsam nehmen jetzt auch die Verantwortlichen von dem Unmut im Volk Notiz – der sich laut Umfragen vor allem gegen die Republikaner richtet. Viele Kongreßmitglieder haben über Weihnachten in ihren Wahlkreisen die Stimmung der Basis erleben müssen. Vier republikanische Abgeordnete im Repräsentantenhaus – die ihre Mandate dem Gingrich-Triumph bei den Kongreßwahlen vom November 1994 verdanken – traten am Donnerstag in Washington vor die Presse und riefen zu Verhandlungen ohne Vorbedingungen auf. „Wir müssen den Stillstand beenden“, sagte einer von ihnen. „Es ist Zeit, Bill Clinton und Robert Dole und Newt Gingrich in einem Zimmer einzuschließen und sie nicht wieder rauszulassen, bis sie ein Haushaltsabkommen vorweisen können.“
Der Wunsch könnte ganz schnell Realität werden. Gestern sollten sich die drei Hauptkontrahenten Bill Clinton, Senatsführer Dole und der republikanische Fraktionschef im Repräsentantenhaus, Gingrich, zu einem erneuten Spitzengespräch treffen. Es soll das ganze verlängerte Neujahrswochenende dauern. „Bedeutende Entscheidungen zu den Renten, den Steuern und der Krankenversicherung“ werde es geben, versprach Gingrich. In „zwei oder drei Tagen“ könnte es eine Einigung geben.
In diesem Fall könnte der Kongreß ab kommenden Mittwoch zusammentreten und ohne formellen Mehrheitsbeschluß die Behörden wieder arbeiten lassen. Allerdings forderte der Republikanerführer Präsident Clinton auch auf, eine soeben vom Kongreß verabschiedete Gesetzesvorlage zur konservativen Umgestaltung des Sozialsystems zu unterzeichnen. Das hat Clinton bereits abgelehnt. Eine rasche Einigung steht auch zum Silvesterwochenende nicht vor der Tür. D.J.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen