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Sommertag in Stalins Schatten

■ Neu im Kino: „Die Sonne die uns täuscht“ von N. Michalkov

Meistens geht es den Menschen in der russischen Literatur, dem Theater und dem Kino ja durchgehend dreckig: Sie leiden an sich und der Welt, und fast immer ist es dabei auch noch dunkel und kalt. Nur ein Bild der paradiesischen Idylle steht dem entgegen, und das ist die Datscha in der Sommerfrische. Einen glücklichen und erfolgreichen Russen zeigt man am eindrucksvollsten dabei, wie er sich mit Frau und Kind nackt in der Sauna räkelt, von der Veranda eines kleinen Holzhauses auf die sommerlichen Birkenwälder sieht, und im Kreise von skurrilen Verwandten und Bekannten am großen Eßtisch seinen Tee trinkt.

Genauso stellt uns der Regisseur Nikita Michalkov in seinem neuen Film „Die Sonne die uns täuscht“ den Revolutionshelden Sergej Petrowitsch Kotow vor, der im Sommer 1936 den Ruhm seiner Heldentaten genießt. Gleich zu Beginn des Films hindert er, nur mit Hemd und Hose bekleidet, ein ganzes Panzer-Regiment daran, die Getreideernte der Bauern zu vernichten. Michalkov selber spielt diesen Heroen so kraftvoll und souverän, daß man ohne Schwierigkeiten nachvollziehen kann, warum ein junger Panzerfahrer ihn anhimmelt wie eine religiöse Erscheinung.

Einen Sommertag in dieser vermeintlichen Idylle aus der Stalin-Ära beschreibt Michalkov mit einer detailverliebten Ausführlichkeit, die den Zuschauer für lange Zeit in einen angenehmen schläfrigen Zustand versetzt. Michalkov hat nicht umsonst Stücke von Tschechow verfilmt und Gontscharows legendären Faulpelz Oblomow auf der Leinwand lebendig werden lassen. Diese Stimmung des bequemen Stillstandes, der lethargischen Nostalgie kann er so geschickt in Szene setzen, daß man von ihr zugleich verführt und abgestoßen wird.

Mit kleinen Irritationen, die mit der Zeit immer beängstigender werden, untergräbt Michalkov diese Idylle. Eine Pioniertruppe zwingt Badende an einem Flußstrand dazu, sich bei einer Übung Gasmasken aufzusetzen, und ein geheimnisvoller Gast kommt in die Datscha, um dort langsam und systematisch den Helden Sergej vom Sockel zu stürzen.

Schleichend ändert sich der Grundton des Films, denn es wird immer klarer, wie allgegenwärtig die Macht des stalinistischen Systems ist und wie zerbrechlich dagegen das familiäre Glück von Sergej Kotow. Die Sonne scheint weiter, aber der Film wird immer düsterer, und das Finale inzenierte Michalkov so tragisch, daß einen unwillkürlich fröstelt.

Hier zeigt sich auch, daß Michalkovs Entscheidung, die sechsjährige Tochter Kotows von seiner eigenen Tochter spielen zu lassen, weit mehr ist als nur eine Marotte des allmächtigen Regisseurs. Die vielen Szenen, in denen die kleine Nadia ihrem Vater regelmäßig die Show stiehlt, sind natürlich auch eine ganz persönliche Liebeserklärung von Michalkov an seine Tochter. Aber gerade weil sie so privat und authentisch wirken, geben sie dem Auftritt von Nadia am Schluß den nötigen emotionalen Schub. Wenn sich das kleine Mädchen da ganz unschuldig darüber freut, ein paar Meter in dem Auto mitfahren zu dürfen, mit dem ihr Vater zum Verhör gefahren wird, ist das solch ein Knalleffekt, daß er schon sehr gut vorbereitet werden muß, um nicht zu offensichtlich und peinlich zu wirken. Aber auch hier stolperte Michalkov nicht, und so endet „Die Sonne die uns täuscht“, der als gemütliche Gesellschaftskomödie beginnt und sich langsam als politische Allegorie entpuppt, schließlich als hochdramatisches Gefühlskino. Und dafür gab es in Hollywood einen Oscar.

Wilfried Hippen

Cinema, tägl. 21 Uhr

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