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Ciquita – Windstärke acht

Ein Transvestiten-Anwalt auf einer römischen Polizeiwache  ■ Aus Rom Werner Raith

Wenn Ciquita, bürgerlicher Name Juan José Almeida, ins Polizeipräsidium stöckelt, ist das ein Auftritt. Denn Ciquita beherrscht vier komplette Oktaven – vor allem Lautstärken vom Pianissimo bis zum Forte fortissimo. Diesmal hat sie es mit einer Polizeistreife zu tun, die in den Castelli Romano vor den Toren Roms ihrer Ansicht nach „Polizeiwillkür“ praktizierte. Zum Beweis schleppt Ciquita drei Transvestiten mit deutlichen Spuren im Gesicht hinter sich her. „Das waren keine Freier“, tönt sie noch auf mittlerer Lautstärke und in der Normaloktave, „das waren drei von euren Leuten.“

Der Ton wird höher. Der Wachhabende klappert mit den Augen, setzt ein leichtes, aber keineswegs ironisches Grinsen auf und sagt: „Zuerst mal, wo ist das passiert?“ Ciquita hat eine Landkarte mitgebracht. „Da, genau da. Da ist weder Sperrbezirk, noch gibt's da andere Nutten. Da sind wir unter uns. Plötzlich kam eine Streife ...“ Der Polizist besieht sich die drei, dann fragt er: „Und du, warum hast du nichts abgekriegt?“ Ciquita rückt sich die Perücke zurecht und legt los wie ein Sturmwind: „Du weißt genau, daß ich deren Vertreter bin. Ich war nicht dabei, kannst du dir das nicht mal merken.“ Der Beamte überlegt, berät sich leise mit einem anderen. Der nickt heftig. „Okay“, sagt er, „also sprich für sie.“

„Bloß ein paar Paragraphen zitieren ...“

Ciquita ist so etwas wie ein Faktotum im Transvestiten-Zirkel. Schon eher im Alter einer Bordellwirtin, stapft der Mann in Frauenkleidern noch immer mutig allnächtlich eine dunkle Straße auf und ab. Tagsüber besucht er die Kollegen von der Zunft und hilft ihnen, wenn sie Ärger haben. Ciquita hat „schon ganz Italien, einschließlich bald aller Knäste“ gesehen und „mindestens so viele Polizisten wie Freier kennengelernt“. Daß man sich an Ciquita wendet, wenn etwas passiert, hängt damit zusammen, daß man hier fachkundigen Rat bekommt: Juan José Almeida hat in Chile Jura studiert und findet sich im Amtsjargon bestens zurecht. „Das wirkt oft Wunder“, sagt Ciquita, „ich brauche bloß ein paar Paragraphen zu zitieren, und schon klappern die nur noch mit den Augen.“

Mitunter muß man auch Gesetze oder Vorschriften einfach erfinden: „Da reicht eine längere Ziffernfolge für das angebliche Gesetz, so etwa ,Nr.1449 von 1979‘, und schon kriegt man Respekt.“ Hier auf der Wache klappt das allerdings nicht: „Die haben die Gesetzessammlungen, aber draußen geht das schon.“ Jedenfalls hat Ciquita schon Dutzende KollegInnen, die in Schwierigkeiten geraten waren, wieder losgeeist. „Allerdings haben sie mich auch schon sechsmal abgeschoben.“ Einmal, weil sie mit ihrer Handtasche ein Polizeiauto zerkratzt hatte. „Wenn ich nur den Polizisten verletzt hätte, hätten sie mich vielleicht dagelassen. Aber die macchina, das geht natürlich nicht.“ Derzeit hat Chiquita wieder mal ein Verfahren am Hals: Sie hat ein komplettes Polizeipräsidium im vornehmen Piemont beleidigt, weil „die einfach nicht zuhören wollten“. Auch jetzt wird Ciquita wieder lauter, aber nicht gegen die Polizisten, sondern gegen ihre Kollegen: „So mach doch das Maul auf“, schreit sie den Schüchternen an, „sag, was passiert ist.“ Der Protokollbeamte gähnt provokativ. „Und du, laß dich nicht so gehen“, herrscht sie ihn an, so daß ihm der Mund zuklappt. „Hast Glück, daß wir keine Carabinieri sind“, sagt der vernehmende Beamte, „die wären nicht so langmütig.“

Am Ende gibt es doch noch ein Protokoll. „Wir werden alle in Frage kommenden Streifen verhören“, verspricht der Beamte. Ciquita nickt zufrieden. Beim Hinausgehen erklärt sie mir die Sachlage noch einmal: „Natürlich wird nichts dabei herauskommen, aber den drei armen Gestalten da hinter mir muß klarwerden, daß sie auch Rechte haben und daß sie sich nicht einschüchtern lassen dürfen.“ Dann grinst sie die drei an: „So, das war ein Crashkurs in Selbstverteidigung. Ich hoffe, ihr lernt die Lektion bevor sie mich abschieben.“ Die drei nicken.

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